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Das Karpathenschloß

Das Karpathenschloß

Titel: Das Karpathenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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dem verzauberten Schlosse abzuhalten!
    Welch’ schreckliche Nacht durchweinte Miriota in ihrer Seelenangst! Sie hatte sich gar nicht niederlegen wollen. Gegen das Fenster gelehnt und den Blick nach der aufsteigenden Landstraße gerichtet, glaubte sie da eine Stimme zu vernehmen, die ihr zumurmelte:
    »Nicolas Deck hat Deine Warnung nicht beachtet!… Miriota hat keinen Verlobten mehr!«
    Doch das war nur eine Sinnestäuschung; keine Stimme unterbrach die nächtliche Stille. Das unerklärliche Vorkommniß in der Gaststube des »König Mathias« wiederholte sich nicht im Hause des Meister Koltz.
     

    Jedes Jahr wird hier eine sogneannte »Brautmesse« abgehalten. (S. 88.)
     
    Am folgenden Tage war die Bewohnerschaft von Werst schon mit dem Morgenrothe draußen. Von der Terrasse bis zur Straßenbiegung am Berge sah man die Einen auf der Straße hinauf-, die Anderen hinabwandeln – Jene, um Neuigkeiten zu erfahren, diese, um sie zu verbreiten. Man sagte, der Schäfer Frik sei bis auf eine gute Meile vom Dorfe weit hinausgegangen, zwar nicht durch den Wald des Plesa, sondern an dessen Saume langhin, und man meinte, daß er dazu seinen besonderen Grund haben möchte.
    Ihn mußte man jedenfalls abwarten, und um schneller etwas zu erfahren, hatten sich der Meister Koltz, Miriota und Jonas bis zum letzten Ende des Dorfes hinausbegeben.
    Nach Verlauf einer halben Stunde wurde Frik einige hundert Schritte die Straße aufwärts zuerst bemerkt.
    Da er seine Schritte keineswegs beeilte, hielt man das für eine schlechte Vorbedeutung.
    »Nun, Frik, was weißt Du?… Was hast Du wahrgenommen? fragte ihn Meister Koltz, als er zu diesem herangekommen war.
    – Ich habe nichts gesehen, nichts erfahren, antwortete Frik.
    – Nichts! murmelte das junge Mädchen, deren Augen sich mit Thränen füllten.
    – Bei Tagesanbruch, fuhr der Schäfer fort, bemerkte ich eine Meile von hier zwei Männer. Erst hielt ich sie für Nic Deck und den Doctor, doch – diese waren es nicht.
    – Weißt Du denn, wer dieselben waren?
    – Zwei fremde Reisende, die geraden Weges von der walachischen Grenze herkamen.
    – Du hast also mit ihnen gesprochen?
    – Und sie kommen nach dem Dorfe herunter?
    – Nein, sie zogen zunächst in der Richtung nach dem Retyezát weiter, da sie dessen Gipfel ersteigen wollten.
    – Es sind also zwei Lustreisende?
    – So sahen sie aus, Meister Koltz.
    – Und obwohl sie diese Nacht über den Rücken des Vulcan gekommen sind, haben sie von der Burg doch nichts gesehen?
    – Nein… denn zu der Zeit befanden sie sich noch jenseits der Grenze, erwiderte Frik.
    – Du bringst also über Nic Deck keine Nachricht?
    – Nicht die geringste.
    – O mein Gott! schluchzte die arme Miriota.
    – Uebrigens werdet Ihr diese Reisenden in wenigen Tagen selbst fragen können, fügte Frik hinzu, denn sie gedenken vor ihrer Rückkehr nach Kolosvar in Werst Halt zu machen.
    – Vorausgesetzt, daß man ihnen von meinem Gasthofe nichts Schlechtes zuflüstert! dachte der untröstliche Jonas. Sie wären wohl im Stande, dann auf Wohnung bei mir zu verzichten.«
    Seit sechsunddreißig Stunden schon war der vortreffliche Gasthalter von der Furcht besessen, daß kein Reisender jemals wieder im »König Mathias« zu speisen oder zu übernachten wagen würde.
    Alle zwischen dem Schäfer und seinem Herrn gewechselten Fragen und Antworten hatten die Sachlage nicht im Geringsten weiter geklärt, und da weder der junge Forstwächter, noch der Doctor Patak bis acht Uhr Morgens zurückgekehrt war, konnte man wohl schon der Befürchtung Raum geben, daß sie niemals wiederkommen würden. Niemand nähert sich eben ungestraft dem alten Karpathenschlosse.
    Gebrochen von der Aufregung dieser schlaflosen Nacht, hatte Miriota nicht mehr die Kraft sich aufrecht zu erhalten. Nur schwankend vermochte sie sich langsam hinzuschleppen. Mit herzzerreißender Stimme rief sie nach ihrem Nic. Sie wollte fort, ihn aufzusuchen. Der Auftritt war schmerzlich mit anzusehen und legte die Befürchtung nahe, daß das junge Mädchen ernstlich erkranken könnte.
    Jetzt war es jedoch ebenso nothwendig wie dringend, zu einem Entschlusse zu kommen. Irgendwer mußte dem Forstwächter und dem Doctor ohne Zeitverlust zu Hilfe eilen. Nun konnte es kaum noch darauf ankommen, Gefahren zu trotzen, sich der Rache menschlicher oder anderer Wesen, die in der Burg hausen mochten, auszusetzen. Die Hauptsache war, zu erkunden, was aus Nic Deck und dem Doctor geworden war. Diese Pflicht drängte

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