Das Karrieremacherbuch
einer Klitsche! –, einen roten Faden im Lebenslauf.« Und haben Sie das geschafft, fängt der Stress erst richtig an: »16 Stunden am Tag arbeiten, Leistung bringen, selected achievements für den englischsprachigen CV sammeln, mehrere Sprachen sprechen.« Kurzum: Man sagt Ihnen ständig, dass Sie besser sein müssen als andere – um gleichzeitig höchste Anforderungen an Teamfähigkeit und soziale Fähigkeiten zu stellen.
In den Tabellen mit den Anforderungen der Top-Unternehmen lesen Sie immer wieder dasselbe: Noten, Auslandserfahrung und Auslandspraktika. Mit Anfang oder Mitte 20 sollen Sie alles haben: einen Notenschnitt unter den besten 15 Prozent, ein halbes Jahr im Ausland (am besten in Asien, Südamerika oder den USA), perfektes Englisch mit mindestens 102 TOEFL-Punkten (muss ja für Harvard reichen) und dann auch noch und offensichtlich vor allem: Spezialkenntnisse in einem just in diesem Moment gefragten Bereich und Berufserfahrung. Ohne die sind nämlich auch die erstgenannten Punkte nichts wert, was man meist erst merkt, wenn man fertig studiert hat. Davor hat man ja keine Zeit, darüber nachzudenken.
Danach dann aber umso mehr. Denn schon vor der Wirtschaftskrise brauchten viele Absolventen, auch die der Wirtschaftswissenschaften, manchmal ein Jahr und mehr bis zum richtigen Berufseinstieg, was man ebenfalls erst nach dem Abschluss merkt. Diese Zeit hätte man auch nutzen können, um ein Praktikum einzuschieben und damit den Lebenslauf aufzuwerten. Ich bin überzeugt, dass acht Semester mit genug Zeit für Praktika besser sind als sechs ohne. Ob Sie beim Berufseinstieg 23 oder 24 Jahre sind, macht wirklich keinen Unterschied. Doch nach dem Stand von 2009 sind es eben sechs Semester, und Sie müssen dann zu allem Überfluss auch noch feststellen, dass Praktika nach dem Abschluss vielleicht noch in der Agentur- und Werbebranche angeboten werden, sonst aber kaum.
Fair Company: Fluch oder Segen?
Mitten im Weg steht dieses Fair-Company-Abkommen, 18 eine Selbstverpflichtung, nach der viele größere Unternehmen keine Absolventen für Praktika einstellen. Dabei wäre es jetzt so wichtig: Während der Wirtschaftskrise ist die Wartezeit auf den ersten Job schließlich besonders lang, denn das verfluchte Nadelöhr des Berufseinstiegs hat sich weiter verengt.
Ältere Leute neigen dazu, die Vergangenheit zu verklären. Das will ich jetzt nicht machen. Doch wenn ich meine vom Planungsdruck verspannten jungen Kunden so höre, war es in den 1980ern doch weniger stressig. Leistung spielte in jenen Tagen sowohl in der Schule als auch auf der Uni nur eine nebensächliche Rolle. Das Wort Elite stand auf einem Haarföhn, aber in keiner Zeitung. Wir waren nicht besonders leistungsorientiert. Streber waren damals unscheinbare Musterknaben, die von Mutti in Karos gekleidet und belächelt wurden. Die Yuppies interessierten sich vielleicht für Tom Cruise und die Wall Street, aber noch mehr für die schicke Party, auf der sie Depeche Mode hörten (damals übrigens für alle Nicht-Yuppies auf einer uncoolen Linie mit Madonna und Kylie Minogue). Ob Yuppie, Normalo oder Punk, alternativ oder bürgerlich: Alle ließen sich Zeit zum Entdecken. Ein Bekannter von mir, heute Beachvolleyballtrainer der kanadischen Nationalmannschaft, studierte bis Ende 30. Eine Kommilitonin schloss zehn Jahre nach mir ihr Studium ab. In der Zeit arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin, Dolmetscherin und Übersetzerin in Finnland. Demnächst promoviert sie, mit 42 Jahren.
Vor allem konnten wir uns mit Dingen beschäftigen, die nichts mit Schule oder Studium zu tun hatten. Ich las während des Abis die Werke von Sigmund Freud und Alice Miller, Romane von Hermann Hesse und Gedichte von Erich Fried. Das zog meine Abinote runter, doch ich glaube, dass das Lesen und die Beschäftigung mit nicht-schulischen Inhalten eine Menge zur Identitätsfindung beigetragen hat und letztendlich mehr nützte als ein Einser-Schnitt.
Streberkultur 2010
Heute dagegen kommt man fast gar nicht mehr am »strebsam sein« vorbei, selbst wenn man im Grunde kein Ehrgeizling ist. Die Botschaft, die Sie überall hören, lautet: Der (Leistungs-) Stärkere gewinnt den Kampf um die begehrten und gerade jetzt richtig raren Jobs in der freien Wirtschaft. Also strengen Sie sich gehörig an. Denn man sagt Ihnen auch: Die freie Wirtschaft ist das Wahre, ihr gehört die Zukunft. »In einem großen Unternehmen arbeiten« hört sich schön an, auch wenn man sich zunächst
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