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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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hatte. Als er schon auf dem Sterbebett lag, sagte der alte Mann, den ich so unendlich lieb gewonnen hatte: ›Soldat weiß nicht, daß geschorene Frau schönen Knaben bekommt.‹
    Ich wußte, was ich hörte, war einer der fehlenden Sätze aus dem Jokerspiel. Im Augenblick seines Todes war er ihm noch durch sein Bewußtsein gejagt.«
    Es war Mitternacht, als Vater an die Zimmertür klopfte.
    »Kommt sie mit zurück nach Arendal?« fragte ich, kaum daß er im Zimmer stand.
    »Wir werden sehen«, sagte er.
    Aber ich sah, wie ein geheimnisvolles Lächeln über sein Gesicht huschte.
    »Morgen gehen wir zusammen in die Konditorei«, sagte ich wie zur Beschwörung, daß der Fisch sich nicht losriß, wo wir ihn gerade über den Dollbord ziehen wollten.
    Vater nickte.
    »Sie erwartet dich um elf im Foyer«, sagte er. »Die Dame hat alle anderen Verabredungen abgesagt.«
    Wir starrten beide lange die Decke an, ehe wir endlich einschlafen konnten. Als letztes sagte Vater, ich weiß nicht, ob zu mir oder zu sich selber: »Ein fahrendes Schiff läßt sich nicht im Handumdrehen wenden.«
    »Schon möglich«, antwortete ich. »Aber das Schicksal ist auf unserer Seite.«

HERZ FÜNF
    ... es war jetzt wichtig, eiskalt zu sein und keine Vorschußlorbeeren zu verteilen...
    Am Morgen versuchte ich mich, ohne das Brötchenbuch aufzuschlagen, an den genauen Wortlaut des Satzes von der geschorenen Frau zu erinnern. Aber bald begann Vater, sich im Bett herumzuwälzen – Zeit zum Aufstehen und für einen neuen Tag.
    Nach dem Frühstück trafen wir Mama im Foyer, und sie bestand darauf, mit mir allein in die Konditorei zu gehen. Wir verabredeten, daß Vater uns zwei Stunden später abholen sollte. Im Gehen zwinkerte ich ihm heimlich zu; es sollte eine Art Dank für gestern sein und ein Signal, daß ich mein Bestes tun würde, um die verirrte Dame zur Vernunft zu bringen.
    Nachdem wir in der großen Konditorei unsere Bestellung aufgegeben hatten, sah Mama mir in die Augen und fragte: »Du kannst sicher nicht verstehen, warum ich euch verlassen habe, Hans-Thomas?«
    Ich ließ mich von dieser Eröffnung nicht verwirren.
    »Willst du damit sagen, du selber könntest es?« fragte ich zurück.
    »Nicht ganz vielleicht...«, murmelte sie.
    Aber ich gab mich mit einem halben Eingeständnis nicht zufrieden.
    »Es ist nicht zu verstehen«, sagte ich, »daß jemand Mann und Kind verläßt, nur um sich von mittelmäßigen Fotografen für griechische Modezeitschriften knipsen zu lassen...«
    Ein Kellner brachte Kaffee und Limonade und eine herrliche Kuchenplatte, aber ich ließ mich davon nicht beeindrucken.
    »Und wenn du mir erzählen willst, du könntest verstehen, warum du deinem Sohn acht Jahre lang nicht eine Postkarte geschickt hast, dann verstehst du sicher auch, wenn ich jetzt aufstehe und gehe.«
    Sie nahm die Sonnenbrille ab und rieb sich die Augen. Ich sah keine Spur von Tränen, aber vielleicht versuchte sie ja noch, sich anstandshalber welche abzuquetschen.
    »Ganz so einfach ist das nicht, Hans-Thomas«, sagte sie, und wenigstens ihre Stimme zitterte.
    »Ein Jahr hat 365 Tage«, sagte ich. »Macht in acht Jahren 2920, dabei ist der 29.2. nicht mal mitgerechnet. Aber selbst an den beiden Schalttagen habe ich von meiner Mama keinen Mucks gehört. – So einfach ist das meiner Meinung nach. Ich bin ziemlich gut in Mathematik.«
    Ich glaube, es waren die Schalttage, die sie umhauten. Daß ich meinen Geburtstag ins Spiel brachte, war zuviel für sie. Sie nahm meine Hände, und die Tränen strömten ihr nur so übers Gesicht.
    »Meinst du, du kannst mir irgendwann verzeihen, Hans-Thomas?« fragte sie.
    »Kommt drauf an«, antwortete ich. »Hast du dir mal überlegt, wie viele Patiencen ein Junge in acht Jahren legen kann? Ich weiß es auch nicht so genau, aber es dürften ziemlich viele sein. Wenn sie aufgehen sollen, müssen die Karten am Ende nach Familien sortiert liegen. Und plötzlich denkt man jedesmal, wenn man das Herz As sieht, an seine Mama. – Wenn es soweit ist, stimmt wirklich etwas nicht.«
    Das mit dem Herz As sagte ich nur, um herauszufinden, ob sie etwas wußte. Aber sie starrte mich nur wie aus allen Wolken gefallen an.
    »Das Herz As?«
    »Das Herz As, ja. Hattest du gestern nicht ein rotes Herz auf deinem Kleid? Die Frage ist nur, für wen dein Herz schlägt.«
    »Aber ...«
    Sie schien echt verwirrt. Vielleicht glaubte sie, ihr Junge habe eine kleine Macke, weil sie ihn so lange allein gelassen hatte.
    »Es geht darum, daß

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