Das Kartengeheimnis
Vater und ich ganz schöne Probleme mit unserer Familienpatience hatten. Sie wollte nicht aufgehen, weil sich das Herz As in einem verzweifelten Versuch, sich selber zu finden, verirrt hatte«, sagte ich.
Und jetzt war ihre Verwirrung komplett.
»Zu Hause auf Hisøy haben wir eine ganze Schublade voller Joker«, fuhr ich fort. »Aber das hilft alles nichts, solange wir uns in ganz Europa herumtreiben müssen, um das Herz As zu finden.«
Das mit der Schublade voller Joker entlockte ihr ein leichtes Lächeln.
»Sammelt er sie immer noch?« fragte sie.
»Er ist selber einer«, sagte ich. »Ich glaube, du kennst ihn überhaupt nicht. Er ist was Besonderes, verstehst du. Aber in letzter Zeit hat er nur alle Hände voll zu tun, um das Herz As aus einem blödsinnigen griechischen Abenteuer zu befreien.«
Sie beugte sich über den Tisch und versuchte, mir einen Klaps auf die Wange zu geben, aber ich wandte mich ab. Es war jetzt wichtig, eiskalt zu sein und keine Vorschußlorbeeren zu verteilen.
»Ich glaube, ich verstehe, wie du das mit dem Herz As meinst«, sagte sie.
»Sehr gut«, erwiderte ich. »Aber erzähl mir nicht noch mal, du wüßtest nicht, warum du uns verlassen hast. Die Sache ist nämlich klar: Des Rätsels Lösung liegt darin, was vor zweihundert Jahren mit einem geheimnisvollen Kartenspiel geschah.«
»Wie meinst du das?«
»Ich meine, daß es in den Karten stand, daß du nach Athen gehen solltest, um dich selber zu finden. Es handelt sich um etwas so Seltenes wie einen Sippenfluch. So etwas hinterläßt Spuren, weißt du: in den Künsten der Wahrsagerinnen und in einer gewissen Brötchenbäckerei in den Alpen.«
»Du machst dich lustig über mich, Hans-Thomas.«
Ich schüttelte so geheimnisvoll wie möglich den Kopf. Dann sah ich mich nach allen Seiten um, beugte mich über den Tisch und flüsterte: »Tatsache ist, du bist in etwas hineingeraten, was, lange bevor meine Großeltern sich in Froland kennenlernten, auf einer ganz besonderen Insel im Atlantik begann. Es war auch kein Zufall, daß du gerade nach Athen gegangen bist, um dich selber zu finden. Dein eigenes Spiegelbild hat dich angelockt.«
»Hast du Spiegelbild gesagt?«
Ich zog einen Kugelschreiber hervor und schrieb Anita auf eine Serviette.
»Bitte, lies das rückwärts«, bat ich. Ich wußte ja, daß sie Griechisch konnte.
»ATINa...«, las sie. »Himmel, du jagst mir ja fast Angst ein. Weißt du – daran habe ich noch nie gedacht!«
»Natürlich nicht«, antwortete ich von oben herab. »Es gibt da so manches, woran du noch nie gedacht hast. Aber auch das ist jetzt nicht das Wichtigste, worüber wir zu reden haben.«
»Was ist denn das Wichtigste, Hans-Thomas?«
»Das Wichtigste ist, wie schnell du deine Koffer packen kannst«, antwortete ich. »Im Grunde warten Vater und ich seit über hundert Jahren auf dich, und jetzt sind wir kurz davor, die Geduld zu verlieren.«
Kaum hatte ich das gesagt, als Vater von der Straße hereinkam. Mama blickte zu ihm hoch und breitete resigniert die Arme aus.
»Was hast du mit ihm gemacht?« fragte sie. »Der Junge redet nur in Rätseln.«
»Er hatte schon immer eine ausschweifende Phantasie«, sagte Vater und setzte sich auf einen freien Stuhl. »Aber sonst ist er ganz in Ordnung.«
Ich hielt das für eine recht gute Antwort, wenn man bedenkt, daß er von dem Verwirrspiel, das ich hier inszenierte, nichts wissen konnte.
»Dabei habe ich gerade erst angefangen«, sagte ich. »Ich habe noch nicht mal von dem geheimnisvollen Zwerg erzählt, der uns seit der Schweizer Grenze auf den Fersen ist.«
Meine Eltern tauschten einen vielsagenden Blick, dann sagte Vater: »Und ich glaube, damit wartest du auch noch ein bißchen, Hans-Thomas.«
Schon am Nachmittag dieses Tages wußten wir, daß wir eine Familie waren, die keine weiteren Jahre der Trennung ertragen konnte. Offenbar hatte ich in Mama mütterliche Instinkte geweckt. Und meine Eltern fielen sich immer wieder wie ein frischverliebtes Paar um den Hals. Es war noch nicht Abend, als ich erste echte Knutschereien registrierte. Ich sagte mir, daß ich das aushalten müsse, schließlich hatten sie in acht Jahren viel versäumt. Aber ich war diskret genug, nicht hinzuschauen.
Wie wir Mama dann in den Fiat bekamen, ist eigentlich gar nicht mehr wichtig. Wichtig ist nur, daß . Ich glaube, Vater wunderte sich nicht schlecht, wie Mama so unbekümmert sein konnte. Mich selber wunderte es nicht. Für mich stand schon lange fest, daß die acht
Weitere Kostenlose Bücher