Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
Vom Netzwerk:
zwei Joker gibt. Wir hatten sogar welche mit drei und vier gefunden, aber in der Regel gab es zwei. Außerdem gibt es nicht viele Spiele, in denen ein Joker nötig ist, und wenn das ein seltenes Mal doch vorkommt, gibt man sich auch mit einem zufrieden. – Vaters Interesse für Joker hatte allerdings noch einen tieferen Grund als solche praktischen Überlegungen: Es ging im Grunde darum, daß mein Vater sich selber als Joker sah. Das sagte er nur selten direkt, aber ich wußte längst, daß er sich für eine Art Joker im Kartenspiel hielt.
    Ein Joker ist ein kleiner Narr, der anders ist als alle anderen. Er ist nicht Kreuz oder Karo, nicht Herz oder Pik. Er ist nicht Acht oder Neun und nicht König oder Bube. Er steht außerhalb und gehört nicht wirklich zu den anderen. Er steckt im selben Packen wie die anderen Karten, aber er ist dort nicht zu Hause. Deshalb kann er auch entfernt werden, ohne daß irgendwer ihn vermißt.
    Ich glaube, mein Vater fühlte sich wie ein Joker, als er als Deutschenkind in Arendal aufwuchs. Aber das war noch nicht alles: Auch als Philosoph war mein Vater eine Art Joker und glaubte immer, seltsame Dinge zu sehen, für die alle anderen blind waren.
    Daß mein Vater sich in Lugano dieses Kartenspiel kaufte, geschah also nicht aus Interesse für die Karten an sich. Er war neugierig darauf, wie der Joker in diesem Kartenspiel aussehen würde. Er war so gespannt darauf, daß er die Packung sofort aufriß und einen Joker herauszog.
    »Hab ich’s mir doch gedacht«, sagte er. »Den hab ich noch nie gesehen.«
    Er steckte den Joker in die Brusttasche, und nun war ich an der Reihe.
    »Krieg ich die Karten?«
    Darauf überließ Vater mir das restliche Kartenspiel. Das war ein ungeschriebenes Gesetz: Wenn er Karten kaufte, behielt er den Joker selber – immer nur einen, auch wenn es mehrere gab –, die übrigen Karten aber bekam ich, wenn ich nur schnell genug darum bat, das heißt, bevor er sie auf andere Weise losgeworden war. So hatte ich es mit der Zeit auf an die hundert Kartenspiele gebracht – und nun war ich zwar ein Einzelkind (das noch dazu keine Mutter im Haus hatte) und legte gern Patiencen, aber ich war eigentlich kein richtiger Sammler; ich fand also manchmal, ich hätte langsam genug Kartenspiele. Deshalb kam es vor, daß mein Vater sich ein Kartenspiel kaufte, den Joker herausriß und den Rest einfach wegwarf. Das war für ihn ungefähr so, als würde er eine Bananenschale wegwerfen.
    »Müll!« konnte er sagen, wenn er die Spreu vom Weizen trennte und die Spreu in einen Papierkorb warf.
    In der Regel trennte er sich jedoch auf nettere Weise davon: Wenn ich die Karten nicht wollte, fand er meistens andere Kinder, denen er wortlos das Kartenspiel reichte. Auf diese Weise bezahlte er die Menschheit für alle Joker, die er von wildfremden Kartenspielern geschnorrt hatte. Ich fand, die Menschheit machte dabei ein gutes Geschäft.
    Als wir wieder losfuhren, erzählte Vater mir, die Natur hier sei so schön, daß er einen kleinen Umweg fahren wolle. Statt die Autobahn bis Como zu nehmen, fuhren wir am Luganer See entlang. Als die Hälfte der Strecke hinter uns lag, überquerten wir die italienische Grenze.
    Bald begriff ich, warum mein Vater sich für diese Route entschieden hatte. Sowie wir den Luganer See hinter uns hatten, erreichten wir einen viel größeren See mit lebhaftem Schiffsverkehr. Es war der Comer See. Hier kamen wir zuerst durch eine kleine Stadt namens Menaggio. »Oigganem«, sagte ich. Dann fuhren wir einige Dutzend Kilometer an dem großen See entlang; gegen Abend würden wir Como erreichen.
    Im Fahren benannte Vater weiterhin Bäume: »Pinie«, sagte er. »Zypresse, Olive, Feige.«
    Ich begriff nicht, woher er all diese Namen wußte. Einige wenige hatte ich wohl schon gehört, aber die anderen konnten sehr gut auch Juxnamen sein, die er sich ausgedacht hatte. Und während wir zwischen all diesen Bäumen dahinfuhren, las ich weiter im Brötchenbuch. Ich war gespannt darauf, woher der Bäcker-Hans die wunderbare Purpurlimonade hatte. Und die vielen Goldfische.
    Bevor ich mit dem Lesen anfing, legte ich eine halbe Patience, damit ich im Zweifelsfall eine Erklärung für mein Schweigen parat hatte. Schließlich hatte ich dem alten Bäcker im Dorf versprochen, daß das Brötchenbuch unser Geheimnis bleiben sollte.

PIK ZEHN
    ... wie ferne Inseln, die ich mit dem Segel dieses Bootes nicht erreichen konnte...
     
     
     
    Als ich in dieser Nacht vom Bäcker-Hans nach

Weitere Kostenlose Bücher