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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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quatschen, streiten und prügeln uns. Trennen uns und sterben. Verstehst du? Wir sind verflixt clever, bauen Atombomben und Mondraketen. Aber niemand von uns fragt, woher wir kommen. Wir sind einfach hier und stellen uns auf.«
    »Und dann lacht Gott einfach über uns?«
    »Genau. Wenn wir einen künstlichen Menschen bauen könnten, Hans-Thomas, und wenn dieser künstliche Mensch dann einfach lossabbeln würde – über Börsenkurse oder Pferderennen –, ohne die allereinfachste und wichtigste aller Fragen zu stellen, nämlich wie er entstanden ist – ja, dann würden wir doch auch herzlich lachen.«
    Genau das tat er auch, ehe er weiterredete: »Wir sollten mehr in der Bibel lesen, mein Junge. Nachdem Gott Adam und Eva erschaffen hatte, wanderte er durch den Garten und bespitzelte sie. Ehrlich. Er legte sich hinter Büschen und Bäumen auf die Lauer und beobachtete ganz genau, was sie unternahmen. Verstehst du? Er konnte den Blick nicht von ihnen abwenden, so fasziniert war er von seinen Geschöpfen. Und ich mache ihm da gar keinen Vorwurf. Nein, nein – ich verstehe ihn gut!«
    Er drückte die Zigarette aus, und damit war die Pause beendet. Ich überlegte mir, daß ich trotz allem Glück hatte: Schließlich würde ich auf der Fahrt nach Griechenland an schätzungsweise dreißig bis vierzig solchen Zigarettenpausen teilnehmen dürfen.
    Im Auto zog ich wieder die Lupe hervor, die mir der geheimnisvolle Zwerg geschenkt hatte. Ich beschloß, damit die Natur einmal genauer zu untersuchen. Wenn ich mich auf den Boden legte und lange genug eine Ameise oder eine Blume anstarrte, würde ich ihr vielleicht ein paar Geheimnisse entlocken können. Und dann würde ich meinem Vater zu Weihnachten ein bißchen Seelenruhe schenken.
    Wir fuhren immer höher in die Berge; es dauerte endlos lange, bis wir Dorf erreichten.
    »Schläfst du, Hans-Thomas?« fragte Vater endlich, und viel hätte tatsächlich nicht gefehlt, wenn er nicht gefragt hätte. Um nicht zu lügen, sagte ich nein, dadurch wurde ich noch ein bißchen wacher.
    »Weißt du«, sagte er, »ich frage mich langsam, ob der Zwerg uns nicht geleimt hat.«
    »Hat die Lupe nicht im Bauch eines Rehs gelegen?« murmelte ich.
    »Du bist müde, Hans-Thomas. Ich rede von der Straße. Warum er uns wohl in diese Einöde geschickt hat? Die Autobahn führt doch auch durch die Alpen. Vor vierzig Kilometern habe ich zuletzt ein Haus gesehen – und das letzte Hotel ist noch viel länger her.«
    Ich war so müde, daß ich nicht antworten mochte. Ich dachte nur, daß ich vielleicht den Weltrekord darin hielt, meinen Vater zu lieben. Er war nicht zum einfachen Maschinisten geschaffen, nein. Er hätte lieber mit den Engeln im Himmel über die Geheimnisse des Lebens plaudern sollen. Engel sind viel klüger als Menschen; das hatte er mir auch beigebracht. Sie sind nicht so klug wie Gott, aber sie begreifen alles, was wir Menschen fassen können, ohne auch nur nachdenken zu müssen.
    »Warum, zum Henker, hat er uns nach Dorf geschickt?« fuhr Vater fort. »Du wirst sehen, am Ende hat er uns noch in ein Zwergendorf gelockt.«
    Das war das letzte, was er sagte, ehe ich einschlief. Ich träumte von einem Dorf voller Zwerge. Alle waren sehr nett. Sie redeten wild durcheinander über alles mögliche, aber niemand konnte sagen, wo auf der Welt sie sich befanden oder wo sie herkamen.
    Ich glaube, ich weiß noch, daß mein Vater mich aus dem Auto hob und ins Bett trug. In der Luft lag ein Honigduft. Und eine Frauenstimme sagte: »Ja, ja. Aber natürlich, mein Herr.«

PIK DREI
    ... ein bißchen seltsam, so weit weg von aller Welt den Waldboden zu schmücken...
    Als ich am nächsten Morgen erwachte, begriff ich, daß wir Dorf wirklich erreicht hatten. Mein Vater lag neben mir im Bett und schlief. Es war schon nach acht, aber mir war klar, daß er noch etwas Schlaf brauchte. Egal, wie spät es wurde, gönnte er sich vor dem Einschlafen noch ein Gläschen. Nur er sprach übrigens von einem »Gläschen«. Ich wußte, daß diese Gläschen ganz schön groß sein konnten. Und ganz schön zahlreich.
    Durch das Fenster sah ich einen großen See. Ich zog mich schnell an und ging hinunter ins Erdgeschoß. Dort begegnete ich einer Frau, die so dick und gemütlich war, daß sie mit mir zu sprechen versuchte, obwohl sie keine Silbe Norwegisch konnte.
    »Hans-Thomas«, sagte sie mehrmals. Also hatte mein Vater mich vorgestellt, während ich schlief und er mich aufs Zimmer trug, das war klar.
    Ich ging auf die

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