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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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Delphi und wollte von Apollon wissen, wer der klügste Mann von Athen sei. Und das Orakel antwortete: Sokrates. Als Sokrates das erfuhr, war er, gelinde gesagt, ziemlich verblüfft, denn er hielt sich ja eben nicht für besonders klug. Aber als er alle aufsuchte, die für klüger galten als er – und ihnen dabei lauter gescheite Fragen stellte –, da erkannte er schließlich, daß das Orakel recht hatte. Der Unterschied zwischen Sokrates und allen anderen war, daß die anderen durchaus zufrieden waren mit ihrem bißchen Wissen, obwohl sie auch nicht mehr wußten als er. Und Leute, die mit ihrem Wissen zufrieden sind, können niemals Philosophen werden.«
    Ich fand die Geschichte sehr überzeugend, aber mein Vater war noch nicht fertig. Nun zeigte er auf die vielen Touristen, die tief unter uns aus ihren Reisebussen quollen und wie die Ameisen durch das Tempelgelände aufwärts kletterten.
    »Wenn unter allen diesen Menschen auch nur einer ist, der diese Welt immer neu als märchenhaft und rätselhaft erlebt ...« Er holte Luft und fuhr fort: »Dort unten siehst du tausend Menschen, Hans-Thomas. Ich meine – wenn nur einer von denen das Leben als wahnwitziges Abenteuer erlebt – und wenn er oder sie das jeden Tag so erlebt...«
    »Was dann?« fragte ich, denn wieder hatte er sich mitten in einem Satz unterbrochen.
    »Dann ist er oder sie ein Joker im Kartenspiel.«
    »Meinst du, es gibt hier so einen Joker?«
    Er zuckte die Achseln.
    »Nein!« sagte er. »Ich kann mir da natürlich nicht sicher sein, denn es gibt immer wieder ein paar Joker, aber die Chance ist unendlich klein.«
    »Und was ist mit dir selber? Erlebst du das Leben als Abenteuer ?«
    »Yes, Sir!«
    Die Antwort kam so energisch, daß ich mich nicht traute, ihm zu widersprechen.
    Aber er war noch nicht fertig: »Jeden einzelnen Morgen erwache ich mit einem Knall. Es ist, als würde mir jeden Tag neu eingeimpft, daß ich lebe, daß ich eine quicklebendige Figur in einem Märchen bin. Denn wer sind wir, Hans-Thomas? Kannst du mir das beantworten? – Wir sind aus einer Portion Sternenstaub zusammengebastelt. Aber was ist das? Woher, zum Kranich, kommt diese Welt?«
    »Keine Ahnung«, antwortete ich und kam mir in diesem Moment genauso außen vor vor wie Sokrates.
    »Und dann taucht dieser Gedanke irgendwann abends noch einmal auf. Ich bin nur dieses eine Mal ein Mensch, denke ich. Und ich kehre nie zurück.«
    »Dann hast du ein hartes Leben«, sagte ich.
    »Hart, ja, aber ungeheuer spannend. Ich brauche keine kalten Schlösser aufzusuchen, um auf Gespensterjagd zu gehen. Ich bin selber ein Gespenst.«
    »Und dann machst du dir Sorgen, wenn dein Sohn vor dem Kabinenfenster eins sieht«, sagte ich.
    Ich weiß nicht, warum ich das sagte, aber ich hatte irgendwie das Gefühl, ich müsse ihn daran erinnern, was er am Vorabend gesagt hatte.
    Er lachte nur.
    »Das wirst du wohl noch aushalten«, sagte er.
    Das letzte, was mein Vater über das Orakel von Delphi erzählte, war, daß die alten Griechen in den großen Tempel eine Inschrift eingeritzt hatten. »Erkenne dich selbst«, lautete sie.
    »Aber das ist leichter gesagt als getan«, fügte er hinzu.
    Dann schlenderten wir zurück zum Ausgang. Mein Vater wollte dort noch das Museum besuchen, wo es den berühmten »Nabel der Welt« zu sehen gab, der sich im Apollon-Tempel befunden hatte, aber ich wollte nicht mit, und nach einer kleinen Debatte durfte ich draußen auf ihn warten. Es war demnach kein Museum, dessen Besuch für meine Bildung unumgänglich war.
    »Setz dich solange unter den Erdbeerbaum da hinten«, sagte Vater und zog mich zu einem Baum, wie ich noch keinen gesehen hatte. Ich hätte schwören können, daß das unmöglich sei, aber der Baum war voller roter Erdbeeren.
    Ich hatte natürlich einen Hintergedanken, als ich mich weigerte, mit ins Museum zu gehen: Die Lupe und das Brötchenbuch brannten mir schon den ganzen Vormittag in der Tasche. Jetzt war eine gute Gelegenheit, weiterzulesen. Am liebsten hätte ich das Büchlein sowieso erst aus der Hand gelegt, wenn ich mit ihm fertig war. Wenn ich es nicht tat, dann nur wegen Vater.
    Bevor ich das Brötchenbuch aufschlug, fragte ich mich, ob es nicht auch ein Orakel sein könnte, das am Ende alle meine Fragen beantwortete. Es lief mir eiskalt über den Rücken, als ich die Geschichte des Jokers auf der magischen Insel zu lesen begann, nachdem eben erst ausgiebig von Jokern die Rede gewesen war.

JOKER



JOKER
    ... er schlich sich wie eine

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