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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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und mit der Sprache – vor allem der Schrift – hatte sogar mein Vater gewisse Probleme.
    Inzwischen stand das Frühstück auf dem Tisch, aber Vater hatte noch kein einziges Mal zur Kaffeetasse gegriffen. Er nahm die Zeitschrift und fragte an den Nachbartischen, ob irgendwer Englisch oder Deutsch könne. Am Ende hatte er bei ein paar jungen Leuten Glück. Vater schlug Mamas Bild auf und bat sie zu übersetzen, was in kleiner Schrift darunter stand. Die jungen Leute sahen zu mir herüber; die ganze Szene war ziemlich peinlich. Ich hoffte einfach nur, daß mein Vater keinen Streit mit ihnen anfing, weil sie Norwegerinnen klauten oder so.
    Als Vater zu mir zurückkam, hatte er sich den Namen einer Werbeagentur in Athen notiert.
    »Die Lunte brennt«, sagte er nur.
    In der Zeitschrift waren natürlich auch Bilder von vielen anderen Frauen, aber Vater interessierte sich nur für das von Mama. Er riß es vorsichtig heraus und warf die übrige Zeitschrift in einen Mülleimer – so wie er manchmal ein nagelneues Kartenspiel wegwarf, wenn er den Joker eingesteckt hatte.
    Der kürzeste Weg nach Athen führte südlich am großen Golf von Korinth vorbei und überquerte den berühmten Isthmus von Korinth. Aber mein Vater war noch nie jemand gewesen, der den kürzesten Weg einschlug, wenn er einen interessanten Umweg finden konnte.
    Es war nämlich so, daß er noch eine Frage an das Orakel von Delphi hatte. Das bedeutete, daß wir den Golf von Korinth mit der Fähre überqueren und dann auf der Nordseite des Golfs durch Delphi fahren mußten.
    Die Überfahrt dauerte nur eine halbe Stunde. Nach zwanzig Kilometern erreichten wir dann einen kleinen Ort namens Naphpaktos. Hier machten wir eine Pause und tranken auf einem Platz mit Blick auf eine venezianische Festung Kaffee und Limo.
    Mich beschäftigte natürlich die Frage, was passieren würde, wenn wir Mama in Athen fanden; aber genauso wichtig war mir alles, was ich in dem Brötchenbuch gelesen hatte. Ich fragte mich, wie ich mit Vater darüber sprechen könnte, ohne mich zu verraten.
    Als er dem Kellner winkte und um die Rechnung bat, fragte ich: »Glaubst du an Gott, Vater?«
    Er fuhr zusammen.
    »Meinst du nicht, dafür ist es noch ein bißchen früh am Tag?« fragte er zurück.
    Er hatte ja recht, aber er hatte auch keine Ahnung davon, wo ich in aller Herrgottsfrühe schon gewesen war, während er sich noch im Land der Träume befand. Wenn er gewußt hätte, was ich wußte! Da jonglierte er mit all seinen schlauen Gedanken, machte ab und zu einen raffinierten Kartentrick, aber ich, ich hatte gesehen, wie ein ganzes Kartenspiel lebendig wurde.
    »Wenn es wirklich einen Gott gibt«, fuhr ich fort, »dann spielt er gern mit seinen Geschöpfen Verstecken.«
    Mein Vater lachte, aber ich wußte, daß er mir zustimmte.
    »Vielleicht hat es ihm einen Schock versetzt, als er sah, was er da geschaffen hatte«, sagte er. »Und dann ist er ganz schnell abgehauen. Du weißt schon – schwer zu sagen, wer den größeren Schrecken bekommen hat, Adam oder der Meister. Ich glaube eigentlich, daß so ein Schöpfungsakt auf beiden Seiten einen gleich großen Schrecken hervorruft. Aber ich finde, er hätte das Meisterwerk wenigstens noch schnell signieren können.«
    »Signieren?«
    »Er hätte seinen Namen in einen Berg einritzen können oder so.«
    »Du glaubst also doch an Gott?«
    »Das habe ich nicht gesagt. Es könnte nur sein, daß er im Himmel sitzt und über uns lacht, weil wir nicht an ihn glauben.«
    Genau, dachte ich. Darüber hatte er in Hamburg schon mal geredet.
    Jetzt fuhr er fort: »Denn selbst wenn er keine Visitenkarte hinterlassen hat, so hat er doch die Welt hinterlassen. Ich finde, das reicht.«
    Er schwieg eine Weile, dann sagte er: »Einmal haben ein russischer Kosmonaut und ein russischer Gehirnchirurg über das Christentum diskutiert. Der Gehirnchirurg war Christ, der Kosmonaut nicht. ›Ich bin schon oft draußen im Weltraum gewesen‹, prahlte der Kosmonaut, ›aber ich habe noch keinen Engel gesehen.‹ Der Gehirnchirurg starrte ihn erst an, dann sagte er: ›Und ich habe ziemlich viele kluge Gehirne operiert, aber ich habe noch keinen einzigen Gedanken gesehen.‹«
    Ich muß ihn ziemlich verblüfft angesehen haben.
    »Hast du dir das gerade ausgedacht?« fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Das war einer von den blöden Witzen dieses Philosophielehrers in Arendal.«
    Das einzige, was mein Vater jemals unternommen hatte, um sich sein Philosophentum schriftlich

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