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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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Verzweiflung.
    „Es gibt nur den Joker...“, murmelte er. „Es gibt keinen... keinen anderen...“
    Dann brach der kleine Clown weinend zusammen.
    Die Buben wichen zurück, und selbst Zwerge, die sich bisher die Ohren oder Augen zugehalten hatten, blickten erschrocken auf. Sie waren von dem kleinen Spaßvogel schon allerlei Schabernack gewohnt, aber sie sahen ihn offenbar zum ersten Mal weinen.
    Ich sah, daß auch Frode Tränen in die Augen traten, und mir ging auf, daß ihm keine seiner Figuren so sehr am Herzen lag wie der kleine Unruhestifter. Er versuchte, dem Joker den Arm um die Schultern zu legen.
    „Aber, aber ...“, sagte er tröstend. Doch der Joker schüttelte Frodes Arm unwillig ab.
    Nun trat der Herz König vor und rief: „Ich muß daran erinnern, daß es nicht erlaubt ist, weinende Köpfe abzuhacken.“
    „Txilfrev!“ rief der Pik Bube.
    Und der Herz König fuhr fort: „Eine alte Regel sagt außerdem, daß ein Kopf erst abgehackt werden darf, wenn er zu Ende gesprochen hat. Und noch liegen nicht alle Karten auf dem Tisch! Ich befehle also, den Joker auf den Tisch zu legen, ehe wir ihm den Kopf abhacken.“
    „Danke, lieber König!“ schluchzte der Joker. „Du bist der einzige in dieser Patience, der dreizehn gute Herzen hat.“
    Schon hoben die vier Buben den Joker hoch und legten ihn auf einen der Tische. Und wie er dort lag: auf dem Rücken, die Hände unter dem Kopf verschränkt und ein Bein übers andere geschlagen, hielt er den Zwergen, die sich um ihn scharten, eine Rede.
    „Ich bin als letzter in dieses Dorf gekommen“, begann er. „Und alle wissen, daß ich anders war als ihr anderen. Deshalb war ich auch meistens allein.“
    Irgend etwas brachte die Zwerge dazu, seinen Worten aufmerksam und ohne einen Mucks zu lauschen. Sie hatten sich wohl trotz allem immer darüber gewundert, warum er so anders war.
    „Ich bin nirgendwo zu Hause“, fuhr er fort. „Ich bin weder Herz noch Karo, weder Kreuz noch Pik. Ich bin auch nicht König oder Bube und nicht Acht oder As. Hier stehe ich und bin nur der Joker, und wer das ist, habeich selber herausfinden müssen. Jedesmal, wenn ichden Kopf bewege, erinnern mich klingende Glöckchen daran, daß ich ohne Familie bin. Ich habe keine Zahl – und auch kein Handwerk. Ich beherrsche nicht die Glasbläserkunst der Karos und nicht die Bäckerkunst der Herzen, mir fehlen die behutsamen Hände der Kreuze und die Muskelkraft der Pik. So bin ich umhergewandert und habe ihnen immer nur zugeschaut. – Doch so habe ich auch allerlei sehen können, wofür ihr anderen blind gewesen seid.“
    Der Joker wippte mit dem Fuß, während er redete, und seine Glöckchen bimmelten leise.
    „Jeden Morgen seid ihr an euer Tagwerk gegangen – aber ihr seid niemals richtig wach gewesen. Ihr habt vielleicht die Sonne, den Mond und die Sterne am Himmel gesehen und alles, was sich über die Erde bewegt – aber ihr habt das alles nie gesehen, wie es wirklich ist. Das ist beim Joker anders, denn er kam mit dem Gebrechen auf die Welt, daß er zu tief sieht und zu viel.“
    „Dann spuck’s schon aus, du Narr!“ fiel ihm die Karo Dame ins Wort. „Wenn du etwas gesehen hast, was wir anderen nicht gesehen haben, dann rück schon raus damit!“
    „Ich habe mich selber gesehen!“ rief der Joker. „Ich habe gesehen, wie ich in einem großen Garten zwischen Büschen und Bäumen herumkrieche.“
    „Kannst du dich selber von oben sehen?“ rutschte es Herz Zwei heraus. „Haben deine Augen Flügel wie die Vögel?“
    „Im Grunde ja. Denn es reicht nicht, sich immer nur in einem kleinen Spiegel anzustarren – wie die vier Damen im Dorf es so gern tun. Sie sind so sehr mit ihrem Aussehen beschäftigt, daß sie nicht merken, daß sie leben.“
    „So eine Frechheit ist mir ja noch nie untergekommen“, empörte sich die Karo Dame. „Wie lange darf dieser Narr noch dummes Zeug daherreden?“
    „Aber da ist nicht bloß etwas, das ich sehe“, fuhr der Joker fort. „Da ist auch etwas, das ich spüre. Ich spüre, daß ich ein quick... ein quicklebendiges Geschöpf bin... ein seltsames Gewächs... mit Haut und Haaren und allem... ein springlebendiger Puppenmann... handfest wie Gummi. – Woher kommt dieser Gummimann? fragt der Joker.“
    „Sollen wir ihn weiterreden lassen?“ fragte der Pik König.
    Der Herz König nickte.
    „Wir leben!“ rief der Joker und breitete so heftig die Arme aus, daß die Glöckchen schrillten. „Wir leben in einem geheimnisvollen Märchen unter

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