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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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Abmachung?« beharrte ich.
    »Yes, Sir. Und ein alter Seemann bricht nie sein Wort.«
    »Spitze! Zur Belohnung erzähle ich dir ein wahnwitziges Märchen.«
    Wir stiegen hinauf aufs Dach und setzten uns an denselben Tisch wie am Vorabend. Nach einer Weile erschien auch derselbe Kellner, und ich fragte auf englisch nach ihrem Limonadenangebot. Schließlich bestellten wir zwei Gläser und vier verschiedene Flaschen. Der Typ schüttelte den Kopf und grummelte etwas von zuviel Alkohol an einem und zuviel Mineralwasser am anderen Tag. Worauf Vater erklärte, das gleiche sich schließlich aus und so könne man sehen, daß es noch an den unwahrscheinlichsten Stellen Gerechtigkeit gebe. Als der staunende Kellner verschwunden war, sagte er: »Tja, Hans-Thomas, da sitzen wir nun in einer Millionenstadt und wollen in diesem gewaltigen Ameisenhaufen eine ganz bestimmte Ameise finden.«
    »Aber es ist immerhin die Königin«, sagte ich und fand diese Antwort ziemlich gut gelungen. Vater ging es offenbar genauso: Er gönnte mir ein breites Grinsen. Dann sagte er: »Und dieser Ameisenhaufen ist so gut organisiert, daß es wirklich möglich ist, Ameise Nummer dreimillionenzweihundertachtunddreißigtausendneunhundertfünf zu finden.«
    Darüber mußte er natürlich ein Weilchen philosophieren: »Eigentlich ist Athen nur ein kleiner Ableger eines viel größeren Ameisenhaufens, in dem über fünf Milliarden Ameisen wohnen. Und fast immer ist es möglich, eine bestimmte Ameise unter diesen fünf Milliarden zu finden. Wir brauchen bloß einen Telefonhörer abzunehmen und eine Nummer zu wählen. Denn auf diesem Planeten gibt es viele Milliarden Telefone, Hans-Thomas. Du findest sie hoch in den Alpen und tief im afrikanischen Dschungel, du findest sie in Alaska und Tibet – und du kannst sie alle mit dem Apparat in deinem Wohnzimmer erreichen.«
    Ich fuhr vor Schreck von meinem Stuhl hoch.
    »Brötchenmann ruft in magisches Rohr, und seine Stimme reicht viele hundert Meilen«, flüsterte ich aufgeregt.
    Plötzlich hatte ich verstanden, was dieser Satz im Jokerspiel bedeutete.
    Mein Vater seufzte resigniert.
    »Was soll das denn schon wieder?« fragte er.
    Ich wußte nicht, was ich darauf antworten sollte, aber irgend etwas mußte ich sagen.
    »Als du die Alpen erwähnt hast, ist mir der Bäcker eingefallen, der mir in dem kleinen Dorf, wo wir übernachtet haben, Rosinenbrötchen und Limo gegeben hat. Ich habe gesehen, daß er auch ein Telefon hat. Und jetzt ist mir erst aufgegangen, daß er damit Leute überall auf der Welt erreichen kann. Er kann einfach die Auskunft anrufen und sich die Nummer jedes einzelnen Menschen auf der ganzen Erde geben lassen.«
    Vater war mit der Antwort wohl nicht ganz zufrieden, denn er starrte lange stumm auf die Akropolis.
    »Man kann jedenfalls nicht behaupten, daß du das Philosophieren nicht verträgst«, sagte er schließlich.
    Ich schüttelte den Kopf. Ich war so zum Bersten gefüllt mit allem, was ich in dem Brötchenbuch gelesen hatte, daß es mir allmählich schwerfiel, alles für mich zu behalten.
    Als die Dunkelheit sich über die Stadt senkte und das Flutlicht über der Akropolis eingeschaltet wurde, sagte ich: »Ich habe dir noch ein Märchen versprochen.«
    »Na los!« sagte Vater.
    Also legte ich los. Ich erzählte viel von dem, was ich in dem Brötchenbuch gelesen hatte – von Albert und dem Bäcker-Hans, von Frode und den Spielkarten auf der magischen Insel. Trotzdem fand ich nicht, daß ich damit das Versprechen brach, das ich dem alten Bäcker in Dorf gegeben hatte, denn ich erzählte alles so, als ob ich es gerade erfunden hätte. An einigen Stellen mußte ich ein bißchen umdichten, und ich achtete darauf, nie das Brötchenbuch selber zu erwähnen.
    Vater war sichtlich beeindruckt.
    »Du hast verflixt viel Phantasie, Hans-Thomas«, sagte er. »Vielleicht solltest du doch kein Philosoph werden. Vielleicht solltest du es lieber mit der Schriftstellerei probieren.«
    Wieder wurde mir also eine Ehre zuteil, auf die ich eigentlich gar kein Anrecht hatte.
    Als wir an diesem Abend zu Bett gingen, schlief ich als erster ein. Ich lag lange wach, ehe ich einschlafen konnte, aber Vater wachte noch länger. Das letzte, was ich mitbekam, war, daß er aufstand und sich ans Fenster stellte.
    Als ich am nächsten Morgen aufwachte, schlief Vater noch immer. Ich fand, er sah aus wie ein Bär, der eben seinen langen Winterschlaf begonnen hatte.
    Ich holte mir die Lupe und das Brötchenbuch und las, was

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