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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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sagte: „Jeder darf phantasieren, was er will. Er ist dann aber auch verpflichtet, seine Phantasien darauf hinzuweisen, daß sie Phantasien sind . Wenn nicht, dann hält er sie zum Narren – und dann dürfen seine Phantasien ihn ermorden.“
    Draußen verschwand die Sonne hinter einer großen Wolke, und der Saal lag plötzlich im Dämmerlicht.
    „Hört ihr, was wir sagen, Buben?“ fragte der Pik König. „Haut dem Meister den Kopf ab!“
    Ich sprang auf, doch da zeigte der Pik Bube zu Frode und mir her und rief: „Das ist nicht nötig, Herr König, denn Meister Frode ist schon tot!“
    Ich fuhr herum: Frode war von seinem Stuhl geglitten und lag leblos auf dem Boden. Ich sah nicht zum ersten Mal einen Toten – ich wußte, daß Frode mich nie mehr aus seinen glitzernden Augen ansehen würde.
    Ich fühlte mich so leer und einsam, wie ein Mensch sich nur fühlen kann. Plötzlich war ich ganz allein auf dieser seltsamen Insel. Um mich herum wuselte ein springlebendiges Kartenspiel – aber keiner, keiner der Kartenzwerge war ein Mensch wie ich.
    Die Zwerge standen jetzt dichtgedrängt um Frode. Ihre Gesichter wirkten leer – noch leerer als am Vortag, als ich in ihrem Dorf eingetroffen war. Mir fiel auf, daß Herz As dem Herz König etwas ins Ohr flüsterte. Dann stürzte sie zur Tür und war verschwunden.
    „Wir stehen jetzt auf eigenen Füßen“, sagte schließlich der Joker. „Denn nun ist Frode tot, und seine eigenen Geschöpfe haben ihn ermordet.“
    Ich war so traurig, aber auch so wütend, daß ich ihn packte und schüttelte. Seine Glöckchen klangen, als wollten sie dagegen protestieren.
    „Du hast ihn ermordet“, schrie ich. „Du hast die Purpurlimonade aus seinem Haus gestohlen und das Geheimnis des Kartenspiels verraten!“
    Ich stellte ihn wieder auf den Boden, und der Pik König sagte: „Unser Gast sagt, wie es ist – und deshalb ist es unser gutes Recht, dem Narren den Kopf abzuhacken. Wir werden den, der uns zum Narren gehalten hat, erst los, wenn wir uns auch seines Narren entledigt haben. Buben! Haut dem Schelm sofort den Kopf ab!“
    Ich ließ den Joker los, und er jagte davon. Er brauchte nur ein paar Siebenen und Achten beiseite zu schubsen, und schon war er, wie kurz zuvor Herz As, aus der Tür. Ich wußte, auch für mich wurde es höchste Zeit zu verschwinden. Ich stürzte hinter dem Joker her ins Freie. Zwischen den kleinen Häusern lag eine gelbe Decke aus Abendsonnenschein, aber weder der Joker noch Herz As waren zu sehen.

KARO KÖNIG
    ... daß wir eine Glocke um den Hals tragen mußten...
    Schon vor Frodes Tod hatte Vater sich zu bewegen begonnen, aber ich war so gespannt, wie es auf dem Jokerfest weiterging, daß ich das Brötchenbuch einfach nicht beiseite legen konnte. Erst, als Vater anfing zu grunzen, schob ich es rasch in die Hose.
    »Hast du gut geschlafen?« fragte ich, als er sich im Bett aufsetzte.
    »Märchenhaft«, antwortete er gähnend und mit weit aufgerissenen Augen. »Und ich habe vielleicht seltsames Zeug geträumt.«
    »Erzähl!« sagte ich.
    Er blieb im Bett sitzen. Vielleicht hatte er Angst, daß er den Traum vergaß, sobald er auf festem Boden stand.
    »Ich habe geträumt, daß die Menschen solche kleinen Zwerge wären wie die, von denen du auf der Dachterrasse erzählt hast. Aber obwohl sie alle lebendig waren, waren nur du und ich darüber erstaunt. Und dann war da noch ein alter Arzt, der plötzlich entdeckte, daß alle Zwerge ein winziges Etikett unter dem Nagel des großen Zehs sitzen hatten. Das konnte man nur mit der Lupe oder unter einem Mikroskop entdecken. Und auf jedem Etikett standen ein Spielkartensymbol und eine Zahl zwischen eins und vielen Millionen. Ein Zwerg hatte ein Herz und die Zahl 728964, ein anderer Kreuz und die Zahl 60143, ein dritter Karo und die Zahl 2659. Nach einer Art Volkszählung stellte sich heraus, daß keine zwei dieselbe Nummer hatten. Die Menschheit wurde zu einer einzigen großen Patience. Aber dann, und das ist jetzt wichtig, dann stellte sich heraus, daß zwei Zwerge nicht gezeichnet und numeriert waren. Und das – ja, das waren Hans-Thomas und sein alter Herr. Deshalb hatten die anderen Zwerge Angst vor uns. Und am Ende beschlossen sie, daß wir eine Glocke um den Hals tragen mußten, damit sie immer hören konnten, wo wir waren.«
    Ich mußte zugeben, daß das tatsächlich ein seltsamer Traum war. Oder hatte er nur die Geschichte vom Vorabend weitergedichtet? Er schüttelte den Kopf und fuhr fort: »Unglaublich

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