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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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Kämpfe in Sand und Staub und flimmernder Hitze vorzustellen. Wie fern mir das alles vorkam.
    » Ich wollte ohnehin selbst kommen. Um mich zu entschuldigen. Ich habe mich letzten Freitag ziemlich idiotisch benommen. Dieses Telefonat. «
    Er streckte die Hand nach meinem Gesicht aus. Instinktiv wich ich einen Schritt zurück.
    » Sei nicht albern! « Er hob beide Hände, die Handflächen mir zugewandt. » Du denkst offenbar immer noch, ich würde was von dir wollen. O nein. Ich bin über dich hinweg, Lily, schon lange « , sagte er mit leichtem Spott in der Stimme.
    » Entschuldigung, ich dachte … « , stotterte ich. Warum erwischte er mich ständig auf dem falschen Fuß?
    » Ich wollte bloß wissen, ob das da ein Bluterguss ist? « , sagte er und deutete auf meine Wange.
    Ich legte die Finger darauf und merkte, dass es ein Abdruck von der Schreibtischunterlage war, auf der mein Kopf gelegen hatte.
    » Es ist nichts « , sagte ich und rieb daran.
    » Gut. Und hast du die zwanzig Ballen, die du mir versprochen hast? «
    Eine Weile zögerte ich mit meiner Antwort. » Ich habe versucht, dich anzurufen, aber es ging niemand ran « , log ich.
    Drohend pflanzte er sich vor mir auf. » Lily, du hast es zugesagt. Hast hoch und heilig versprochen, dieses Mal zuverlässig zu liefern. « Einen kurzen Moment dachte ich, er würde auf mich losgehen, so sehr steigerte er sich in seine Wut. » Gottverdammt, ich bin nicht den ganzen Weg hier herausgefahren, um dann … « , brüllte er.
    In diesem Moment fühlte ich mich völlig eingeschüchtert, stand mit dem Rücken zur Wand. Alle Souveränität war wie weggeblasen. » Beruhige dich erst mal … « , stotterte ich. » Ich habe … «
    Er unterbrach mich. » Zwanzig Ballen? Das war der Deal, Lily. Das hast du mir versprochen. « Seine Worte fuhren wie Peitschenhiebe auf mich nieder. » Und? Wie viele also? «
    Ich konnte ihm keine andere Antwort geben.
    » Ja « , sagte ich. » Zwanzig. Du kriegst zwanzig. «

Kapitel 19
    Generationen königlicher Bräute wurden in Satinkleider aus Westbury-Seide gehüllt, die sich durch ihre luxuriöse Anschmiegbarkeit und ihren geschmeidigen Fall auszeichnet, oder sie trugen solche aus Taft, der sich besonders eignet für ein märchenhaftes Kleid im Ballerinenstil. Und das nicht nur für Prinzessinnen. Ein Kleid aus weißer oder cremefarbener Seide ist der Traum einer jeden Braut.
    Aus: Die Geschichte der Seide von Harold Verner
    Ich tat alles, damit niemand meinen Betrug bemerkte. Früh am nächsten Morgen sortierte ich die Ballen in der Veredelungshalle neu, um auf den ersten Blick das Fehlen der beiden fehlerhaften zu vertuschen. Ich war besonders nett zu Gwen und sogar zu Bert und hoffte, dass niemand es je herausfand. Um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, redete ich mir ein, dass meine Lüge die Firma vor dem Untergang bewahrt hatte, schob sie ganz weit nach hinten in meinem Kopf. Irgendwann schaffte ich es, sie so weit zu verdrängen, dass ich nicht mehr daran dachte. Wir hatten mehr denn je zu tun – da blieb ohnehin kaum Zeit für Grübeleien, und der Gedanke an Stefan tat ein Übriges, um mich abzulenken.
    Ich hatte Stefan schon sehr lange nicht mehr gesehen, als ich im Juni ein Telegramm erhielt, das mich elektrisierte. Bin diese Woche im Wohnwagen, stand da. Kannst du kommen? Valley Farm, Coombe Martin.
    Es dauerte den ganzen Tag, um quer durchs Land mit dem Zug nach Bristol zu fahren, von dort mit dem Bus bis Ilfracombe und schließlich weiter mit dem Taxi, auf das ich eine Stunde warten musste. Am Anfang einer schmalen Gasse mit hohen Hecken zu beiden Seiten stieg ich aus. Zwischen den matschigen Fahrspuren verlief eine grasbewachsene Bodenwelle.
    » Gehen Sie bis zum Ende durchs Tor, dann sind Sie da « , sagte der Fahrer. Während der Fahrt durch den Exmoor-Nationalpark bis hierher hatte ich seinen West-County-Akzent zu verstehen versucht. Meist vergeblich, aber diese Anweisungen waren eindeutig.
    Zwischendurch war das Wetter etwas freundlicher gewesen, jetzt jedoch hatte der Himmel sich wieder zugezogen, und es nieselte. Mit meiner dünnen Jacke, ohne Schirm oder Regenmantel, und mit leichtfertig dünnen Schuhen war ich bald durchnässt und bis zu den Knöcheln voller Matsch. Wir hatten uns seit Ewigkeiten nicht gesehen, dachte ich düster, und nun sah ich aus wie eine abgesoffene Ratte.
    Als ich Stefan dann mit seinen Eins fünfundachtzig gebeugt im Türrahmen des Wohnwagens stehen sah, mit diesem umwerfenden,

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