Das katholische Abenteuer - eine Provokation
ist Religion im amerikanischen Alltag vital. In schwarzen Gemeinden sind Kirchen rettende Anker, sie stehen in jedem noch so kleinen Flecken. Anders als in Deutschlands großen, müden Amtskirchen ist das religiöse Gefühl in Amerika Verzückung, Gospel, heiliges Gelächter, die Trance. Es ist im Kern rebellisch, antistaatlich. Der amerikanische Gläubige – ob Pfingstler, Baptist, Evangelist, wiedergeborener Christ – sucht die direkte Gefolgschaft zu Jesus, ohne alle Vermittlungen durch Kirche und Bürokratie. Seinem Wesen nach ist der amerikanische Individualismus nichts als das – die grenzenlose Einsamkeit mit Gott.
Die Baptistentaufe ist dramatische Wiedergeburt, ist Bruch mit aller bisherigen Biografie, so wie Amerika Bruch mit aller bisherigen Geschichte war. Über 90 Prozent der Amerikaner glauben an die Rettung durch Gott. Nur so lässt sich erklären, dass der wegen Kokainhandels verurteilte ehemalige Bürgermeister Washingtons Marion Barry einen glänzenden Comeback-Sieg erringen konnte. Sein Wahlkampf hatte ein einziges Thema: Sündenfall und göttliche Rettung.
Wer aus den religiös ausgenüchterten europäischen Notstandsgebieten, besonders den deutschen, nach Amerika kommt, betritt ein strahlendes, oft lärmendes, überbelichtetes Jesus- und Gottestheater und vergisst keinen Moment lang, dass diese Nation von verfolgten Frommen gegründet wurde, die Strapazen, Krankheit und Tod auf sich genommen hatten für das Recht, zu beten, wie und wo und wann sie es wollten. Die Mehrheit der Amerikaner betet täglich. Das muss man im Blick haben, wenn man auf die amerikanische Politik schaut. Die braucht »kein Mehr an Christentum«, wie es Angela Merkel auf einem CDU-Parteitag forderte, sie hat es, im Übermaß. In bisweilen erschreckendem Übermaß. Gott wird besonders gern benutzt, um den politischen Gegner niederzustrecken. Unter den republikanischen Rechten und den Anhängern der staatsverdrossenen Tea Party wird Gott – meist von protestantischen Sekten und Kirchen – als Bündnispartner im Kampf gegen den
demokratischen Präsidenten fest eingebucht. Das war in der Ära Bill Clinton so, das ist jetzt der Fall mit Barack Obama.
Sarah Palin und Glenn Beck, die prominentesten Agitatoren gegen Obama, berufen sich besonders gern auf »Gottes Willen«. Nachdem ein geistesgestörter Amokläufer Anfang Januar 2011 die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords niederschossen und fünf Menschen, darunter ein elfjähriges Mädchen, getötet hatte, beeilten sich die beiden, E-Mails zu veröffentlichen, in denen sie sich gegenseitig ihre friedlichen und frommen Absichten bekundeten. Friedlich? Sarah Palin immerhin ließ auf ihrer Website den Distrikt der angeschossenen Demokratin, die Obamas Gesundheitsreform unterstützt hatte, mit einem Fadenkreuz markieren. Ihr Motto: »Nicht nachgeben, nachladen!« In der veröffentlichten Mail an Glenn Beck indes schreibt sie bigott: »Ich hasse Gewalt. Ich hasse Krieg. Danke dir für all das, was du tust, um die Botschaft von Wahrheit und Liebe und Gott als Antwort zu verkünden.« Die schwarze Unterseite dieses Gesäusels ist natürlich der Hass auf den Gegner.
Vor allem anderen war hier immer schon Religion. Zunächst gab es die religiösen Kommunen, erst dann erwuchsen daraus die empörten Kolonialisten und Unabhängigkeitskämpfer. Erst kam die religiöse, dann die politische Inspiration. Erst gab es das beseelende Gefühl, in Amerika das gelobte Land, das neue Jerusalem gefunden zu haben und die Möglichkeit, den alttestamentlichen Mythos des auserwählten Volkes neu zu leben. Dann erst kamen die Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution hinzu.
In Amerika existiert kein ›regulierter‹ religiöser Markt, jeder ist nach dem lutherischen Motto frei vor Gott, jeder kann seine eigene Kirche gründen, wenn ihm die anderen nicht zusagen – in Branchenbüchern kann man sich seitenlang durch »Kirchen« blättern.
Natürlich ist das anders bei den Katholiken. Als ich in den 90er Jahren als Korrespondent in Manhattan lebte, war unsere
Kirche die Blessed Sacrament Church in der 71. Straße. Es war ein schönes gotisches Gotteshaus mit hohen Kreuzrippengewölben, das der Pariser Sainte-Chapelle aus dem 13. Jahrhundert nachgebildet war. Natürlich errichtet aus Spendengeldern und Gaben reicher Mäzene. Auch der Unterhalt der Kirche wird von der Gemeinde selbst bestritten, es gibt keine Kirchensteuer in den Staaten. Das führt zu einem wesentlich
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