Das katholische Abenteuer - eine Provokation
ihm in seinem Amt begegnet sind, gelernt, wie schwer ein Leben in Wahrheit ist. Stricher und Huren, Glaubensschwache, Ausgegrenzte, die spricht er an, auch zum Ärger des religiösen Establishments. So was hat schon mal verärgert. Vor rund 2000 Jahren.
Besonders aber provoziert er nun die Schriftgelehrten der säkularen Welt, die Kirchenfeinde in den Redaktionen, die darüber wüten, dass ihnen ein vertrautes Feindbild abhandenkommt. Neben der hysterisch debattierten Kondomerei hat diese große Befragung des Papstes durch Peter Seewald den Charakter einer Bilanz, und die fällt so selbstkritisch aus, dass es denjenigen, die normalerweise mit Kirchenkritik befasst sind, erst einmal die Sprache verschlagen hat.
Das ungemein Lesbare an diesem Buch ist, dass es sehr menschlich daherkommt, aber den Gottesbezug nicht verschämt ausklammert. In den Äußerungen zur weltumspannenden Drogenseuche etwa verknüpft er Sozialpsychologie und Theologie: »Da ist eine Gier nach Glück entstanden, die sich mit dem Bestehenden nicht begnügen kann. Und die dann in das Paradies des Teufels, wenn man so sagen will, flüchtet und Menschen rundum zerstört.« Bibelsprache, deutliche Sprache.
Als Gläubiger redet er in die Zeit hinein. Er stimmt Nietzsche zu, der dichtet »Alle Lust will Ewigkeit«, was wohl als Signet-Wort
unserer hedonistischen Gegenwart gelten kann. Ja, sagt der Papst, der Mensch möchte Lust bis zum Äußersten, »aber wo es Gott nicht gibt, wird es ihm nicht gewährt«. So sieht es nun mal die katholische Kirche. Sorry, Leute, aber irgendwann ist jede Party zu Ende, und dann beginnen die letzten Fragen.
Er spricht über seinen Vorgänger, der die Welt im zerfallenden Sozialismus zum Glauben hin geöffnet habe. Er sieht neue Aufgaben für sich, nämlich die einer Konsolidierung. Dem Streben widerstehen, beim Publikum anzukommen. Also weder politischen Moralismus noch religiöse Psychotherapie betreiben, sondern zur Wurzel, zum Glauben zurückfinden. Das wäre die Aufgabe des Moments, und die ist monumental genug.
Der Papst zieht Bilanz. Sein Pontifikat begann mit der hysterisch-verdächtigen »Wir sind Papst«-Begeisterung und führte nicht lange später in die schwärzeste Verachtung insbesondere in Deutschlands Medien. Andere sprangen ihm bei. Als er mit der Pius-Bruderschaft auch die umstrittene historische Karfreitagsbitte für die »verblendeten Juden« mit rehabilitierte, der er jedoch durch Umformulierung das Bittere nahm, wurde er von deutschen Kommentatoren geradezu als Antisemit beschimpft. Es bedurfte des New Yorker Rabbiners Jacob Neusner, der die Bitte verteidigte mit dem Hinweis, sie liege »in der Logik des Monotheismus«. Schließlich würden auch gläubige Juden dreimal am Tag darum beten, dass eines Tages alle Nichtjuden den Namen JHWHs anriefen.
Den jähen Stimmungsumschwung, das geradezu überschießende Kesseltreiben ließ auch den jüdischen Philosophen Bernard-Henri Lévy nicht kalt. Er bemerkte, dass, sobald die Rede auf Benedikt XVI. käme, »Vorurteile, Unaufrichtigkeit und sogar die glatte Desinformation jede Diskussion« beherrschten.
Wie imponierend, dass der Mann an der Spitze Kurs hält und wie er es tut. Der Zölibat. Er stellt ihn vor den Hintergrund einer Frömmigkeitshaltung. Er weiß: »Der Zölibat ist immer ein Angriff auf das, was der Mensch normal denkt; etwas, das nur realisierbar und glaubhaft ist, wenn es Gott gibt und wenn
ich dadurch für Gott eintrete.« Darin liege der Skandal des Zölibats: in seinem kompromisslosen Bekenntnis zum Glauben.
Er beschwört die Notwendigkeit, in unserer modernen Zerstreuungsgesellschaft Inseln zu finden, auf denen der Glaube und die innere Einfachheit des Christentums leben und ausstrahlen können. Egal, ob es die zahlreichen Gemeinschaften und charismatischen Bewegungen sind. Frömmigkeitsübungen, Messen, vor allem aber und immer wieder die Liturgie, die einen Schutzraum bietet, in dem »im Gegensatz zu dem Kaputten um uns herum auch wieder die Schönheit der Welt und des Lebendürfens sichtbar wird«.
Bisweilen, das gibt der mittlerweile 84-jährige Joseph Ratzinger unumwunden zu, sei er müde und erholungsbedürftig. Dann lässt er durchblicken, dass ein Papst, sollte er körperlich oder geistig nicht mehr in der Lage sein, sein Amt auszufüllen, zurücktreten könnte – bisher unerhört!
Was die Unfehlbarkeit angeht: Natürlich spricht ein Papst aus dem Glauben heraus und hat in Glaubensdingen das letzte Wort. »Das heißt
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