Das katholische Abenteuer - eine Provokation
aber nicht, dass ein Papst privat nicht auch verkehrte Meinungen haben könnte.« Das war eigentlich nie anders, doch es lohnt sich, mit solchen Passagen in heutigen Zeiten die oft falsch verstandene »Unfehlbarkeits«-Annahme zu korrigieren.
Was sonst? Er mag »Don Camillo«, der alte Gottesdiener, mag diesen Raufbold im Namen des Herren, und wer mag den nicht, besonders wenn er von Fernandel gespielt wird! Selbstverständlich bedauert der katholische Ober-Hirte den Rückgang des Religionsunterrichts, das Abhängen von Kreuzen in öffentlichen Räumen, er diagnostiziert einen Mangel an Bekennermut, ein Zurückweichen vor den Zerfallserscheinungen der Gesellschaft. Er sieht besonders im katholischen Deutschland Kreise und Schichten, die nur darauf warten, »auf den Papst einschlagen zu können«.
Das in dieser Freimütigkeit zu hören, mag gänsehauttreibend sein, aber gleichzeitig kann sich der Pontifex Maximus mit
einem weiten Blick über die Horizonte der katholischen Welt trösten, die wächst, die Kirchen baut, die Priester ordiniert und in außereuropäischen Gegenden »lebt und voller Dynamik ist«. Ja, er baut den bisweilen endzeitlich-pessimistischen Fragensteller Seewald geradezu auf!
Das Gespräch endet mit ganz einfachen Worten der Hoffnung. Sicher, Gott nimmt uns ernst, und er wird am Ende der Tage Gericht halten. Doch er hat Jesus gesandt, »damit wir die Wahrheit kennenlernen. Damit wir Gott berühren können. Damit uns die Tür offensteht. Damit wir das Leben finden, das wirkliche Leben, das nicht mehr dem Tod unterworfen ist.« In diesen schlichten Worten liegt die frohe Botschaft, und der Papst spricht sie in eine säkulare deutsche Glaubenswelt hinein ohne alle Rücksicht auf »Zielgruppenorientierung« und »Erwartungshorizonte«. Es ist die völlig unzeitgemäße Sprache des Glaubens.
Es ist ein neues Papstbild, das in diesem Gespräch aufscheint. Hier spricht nicht der oft als kalter Taktiker verzeichnete Theologieprofessor, der seine Glaubensdogmen mit dem Rücken zur Welt formuliert, sondern der menschenzugewandte, verständnisvolle Seelsorger. Und der antwortet mit oft entwaffnender Schlichtheit und Offenheit. Dieser Papst ist einer, der Fehler eingesteht und seine Trauer über Verirrungen der Kirche zeigt. Der aber auch den Optimismus weitergeben kann, den er aus seinem Gottvertrauen bezieht. Er ist qua seines Amtes Hüter der mächtigsten und geschichtsträchtigsten Glaubensbastion der Welt, der Fels in Zeiten, die ideengeschichtlich in kompletter Auflösung begriffen sind und bisweilen apokalyptische Ängste zeigen – und nichts so sehr schätzen wie Orientierung.
Es sind Zeiten, in denen die Frage »Wofür stehst Du?« bestsellerfähig ist. Dieser Papst gibt eine Antwort. Und die ist, in ihrer Art, unfehlbar.
GOTT UND DIE WELT
Gottes eigenes Land
Warum die Amerikaner den Höchsten auf ihrer Seite wissen
»Erst als ich in ihren Kirchen saß und ihre Predigten hörte, habe ich ihre wahre Größe begriffen.« »Amerika ist groß, weil es gut ist.«
Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika
So unkompliziert und innig wie in Amerika wird nirgendwo sonst in der Welt über den christlichen Gott gesprochen. Wer hier als Journalist arbeitet und darüber nur den Kopf schütteln kann, reist blind durch den Alltag. Gott ist überall, in den Radiostationen, auf T-Shirts, in Armenküchen, in Kampagnenslogans, in Songs, auf Billboards. Basketballspieler danken Gott für Slam-Dunks, Gangster-Rapper bedanken sich bei Gott für Trophäen, Filmstars für einen gelungenen Drogenentzug, Politiker beschwören Gott in ihren Reden. Über die Hälfte der Amerikaner sind politisch lautstarke Protestanten und Do-it-yourself-Gläubige, ein Viertel sind leisere, hierarchiebewusstere Katholiken, die sich vor allem im Schul- und Universitätsbereich hervortun und ansonsten in Latino-Gegenden verankert sind.
Religiosität elektrisiert linke und rechte Kombattanten und fiebert stets auch im globalen Auftrag: Im religiösen Selbstgespräch der Nation hat nicht militärische Stärke, sondern moralische Größe Faschismus und Kommunismus besiegt – Gott war mit Amerika. Dass Amerika eine höhere Sendung habe, fand zumindest in den 90er Jahren auch die kritische europäische Intelligenz, die zwar die Frömmelei der Supermacht bespöttelte, aber im gleichen Atemzug moralische Interventionen verlangte, ob in Bosnien, Somalia oder Haiti.
Trotz allen Verfalls, aller Trivialisierungen
Weitere Kostenlose Bücher