Das katholische Abenteuer - eine Provokation
kaum einer vor ihm. Sechzehn Jahre liegen zwischen diesen Reisen. Zuletzt fuhr ich durch ein Land, das im Bürgerkrieg lag. Von der Hoffnung, vom strahlenden Versprechen der amerikanischen Religiosität ist in diesen Tagen nur noch das erschreckende Brausen der Wut geblieben.
Eines aber ist sicher: Gleichgültig ist Gott den Amerikanern nicht – weder damals noch heute. Die folgenden Reportagen, die unterschiedliche Facetten des amerikanischen Glaubens ausleuchten, führen das vor Augen.
Glauben und Sternenbanner
Aus dem Innenleben der fundamentalistischen Protestanten in den Clinton-Jahren
Wer Peggy Wehmeyer besucht, fährt in die 50er Jahre. Der Rasen vor dem Haus in einem Suburb von Dallas ist getrimmt wie der vor den Nachbarbungalows. In der Küche steht der lächelnde Ehemann und kocht. Die Töchter bringen gute Noten nach Hause. Vor den Mahlzeiten wird gebetet. Und Peggy ist blond und witzig und schmeißt den ganzen Laden.
Für den TV-Guide , die auflagenstärkste Zeitung der Welt, ist sie einfach »hot«. Warum? Weil sie attraktiv ist und die erste Religionsreporterin bei »ABC World News«, der meistgesehenen Nachrichtensendung des Landes. Und weil sie Sachen sagt wie: »Karriere ist ja ganz nett, aber Vorrang für mich hat die spirituelle und emotionale Erziehung meiner Kinder.« Das Verrückte daran: Man glaubt ihr aufs Wort.
Ein paar Jahre früher wäre Peggy Wehmeyer ziemlich außer Mode gewesen. Doch es sind Zeiten, in denen die New York Times von elternlosen elfjährigen Mördern berichtet, die siebenjährige Mädchen vergewaltigen, Zeiten, in denen eine ganze Gesellschaft im permissiven Müll erstickt. Da wünscht man sich die Welt voller Peggy Wehmeyers. Sie ist die Doris Day der Internet-Ära. Sie unterrichtet ihre Töchter in der Sonntagsschule. Sie organisiert Nachbarschaftsabende. Sie glaubt an die Familie. Und sie findet, dass das Land vor die Hunde geht und seine Seele verspielt.
Sie ist nicht die Einzige. In einer Umfrage gaben 71 Prozent der Befragten an, wichtiger als der wirtschaftliche Aufschwung sei ihnen der moralische. Dieses Lamento über Sinnverlust und moralischen Verfall verrät vor allem eines: wie groß die Spiritualität noch immer ist im mächtigsten Land der Erde, das oft
als knallbunter Supermarkt missverstanden wird. Wer so nach Gott ruft, hat ihn gerade nicht verloren.
Peggy Wehmeyer ist wiedergeborene Christin – eine von 50 Millionen. Und sie ist Teil einer konservativen, christlichen Erneuerungsbewegung, die den öffentlichen Raum betreten hat und zunehmend mitbestimmt. Die Bewegung erinnert vehement daran, dass sich die Nation nicht dem ausgereizten Vernunftspathos der Aufklärung, sondern der messianischen Vision verdankt: Sie war die Stadt auf dem Hügel, das neue Jerusalem. Religiöses Gefühl hat die amerikanischen Revolutionäre ebenso beseelt wie die Verfassungsväter, die Kämpfer gegen die Sklaverei ebenso wie die Bürgerrechtler.
Jeder zweite Amerikaner betet täglich. Auch Peggy Wehmeyer beginnt ihre Tage mit Gebeten und Meditationen. An diesem Morgen war es eine Passage aus den Reflexionen Bonhoeffers. »Was für eine Glaubensgewissheit, was für ein Weg«, sagt sie bewundernd. Sie dagegen – Gott habe ihr alles gegeben, und dennoch zweifle sie ständig.
Es ist schwierig geworden, in diesen späten, zynischen Zeiten über Religion zu reden. Peggy Wehmeyer kann es. Sie erzählt von ihrer Kindheit, von ihrer Suche nach Antworten. Von ihrem Vater, einem Glücksritter, der mit der Sekretärin durchbrannte, und ihrer Mutter, die Selbstmord verübte. Und wie sie, auf dem College-Campus, die Schrift fand. »Ich habe gespürt – das ist mein Weg.«
Natürlich wird sie kritisiert. Die meisten Journalisten halten Frömmigkeit für einen intellektuellen Kunstfehler, über den sich nur zynisch reden lässt. Als Peggy Wehmeyer ein zweiteiliges Interview mit Präsident Clinton über Glaubensfragen produzierte, gab es auch in der eigenen Anstalt Probleme.
Doch sie hat einen wachen Verstand, Gespür für Geschichten und die Protektion ihres Chefs Peter Jennings. Was Religion vermag, schilderte sie in einem ihrer ersten TV-Beiträge. Skinheads hatten in einem Städtchen in Oregon eine jüdische Familie terrorisiert. Daraufhin schlossen sich die Nachbarn, die
meisten von ihnen wiedergeborene Christen, zusammen und hängten Davidsterne in ihre Fenster und stellten siebenarmige Leuchter auf. Die Skins zogen ab.
An diesem Tag arbeitet Peggy an einem
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