Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
schluchzend an der angelehnten Tür.
„Geh weg, Schatz, gleich kommt ein Arzt! Geh zur Haustür und mach auf, wenn ein Krankenwagen kommt, bitte“, forderte Julia ihren Bruder unter Tränen auf. Sie wusste nicht, wie lange sie sich an ihrer Mama zu schaffen machte. Ihr den Finger in den Hals steckte, zaghaft auf die Wangen schlug und auf den Bauch drückte. Mama lebte, aber wie lange noch?
Endlich traf der Krankenwagen ein und die Polizei folgte kurze Zeit später. Julia und Sebastian schauten dabei zu, wie eine Ärztin und zwei Sanitäter an der Mutter rumhantierten und sie dann in den Rettungswagen brachten. Auf der Straße standen die Nachbarn und tuschelten. Julia schämte sich für ihre Familie. Ein Polizist rief die Großeltern an und die Kinder mussten schon wieder von zu Hause fort. Alles war wie im Film, fand Julia, nur schlimmer. Mama sah sogar als Fast-Tote noch wunderschön aus. Sie sah gar nicht aus wie die Kranken im Fernsehen, sondern thronte wie eine Prinzessin auf der Trage. Alles war sehr hektisch, aber andererseits auch wieder still. Wie gerne hätte Julia sich jetzt ihren iPod ins Ohr gesteckt, aber sie musste sich um Sebastian kümmern. Sie war jetzt seine Mama und sie würde ihre Aufgabe besser machen als Lisa.
Lisa wollte weiterschlafen. Sie spürte, dass fremde Menschen sich an ihr zu schaffen machten. Schmeckte die widerliche Sauerstoffmaske und das Pieksen der Nadeln, als man ihr Zugänge für einen Tropf legte. Hörte, wie ständig jemand ihren Namen rief. Doch sie wollte die Augen nicht aufmachen. Wenn sie sich nur ganz fest konzentrierte, musste es funktionieren, dass sie übertrat in eine friedliche Dimension. Vielleicht kämen Ingmar und die Kinder auch bald nach. Schlafen, schlafen, beschwor Lisa sich, während die Übelkeit in ihr aufstieg und der Kopf dröhnte.
Immer wieder kam Lisa kurz zu sich, doch sie öffnete die Augen nicht. Sie pumpten ihr den Magen aus, legten ihr Kanülen und maßen den Blutdruck. Als sie fertig waren, schob man sie in ein Zimmer, in dem es endlich still war. Nur das regelmäßige Aufpumpen der Blutdruckmanschette sorgte für einen beruhigenden Ton. Sonst hörte Lisa absolut nichts. Hoffentlich lag sie in einem Einzelzimmer. Lisa hasste Krankenhäuser und wollte nicht neben irgendeiner schnarchenden Oma liegen. Dass sie tot war, hielt sie inzwischen für ausgeschlossen. Die Tabletten hatten nicht ausgereicht oder die Kinder waren zu schlau gewesen.
Vorsichtig öffnete Lisa die Augen. Ah, das war schwer. Sie war so müde, aber schlafen konnte sie trotzdem nicht mehr. Von oben bis unten hatte man sie verkabelt, so ein Mist! Sie schaute nach links und rechts und konnte keinen anderen Menschen sehen. Was würde als Nächstes passieren? Eigentlich konnte man erwarten, dass nach einem Selbstmordversuch weinende Angehörige am Bett saßen und darauf warteten, dass der unglückliche Patient ein Lebenszeichen von sich gab. Doch Lisa war allein. Es gab nur einen, der neben ihr sitzen würde und das war Ingmar. Ingmar, wie sehr sie ihn vermisste! Ihr fiel der Verrat ein und sie verscheuchte ihren Mann aus den Gedanken. Was die Kinder wohl machten? Bestimmt hatten sie einen Riesenschock und würden nun endgültig traumatisiert sein. Na und, sie war es auch. Vor lauter Selbstmitleid kamen Lisa die Tränen. Noch nicht einmal in Ruhe umbringen konnte man sich. Wieso kam denn keine Schwester? Sie könnte hier den nächsten Selbstmordversuch unternehmen und niemand bekäme etwas davon mit.
Auf ihrem Bauch lag ein Klingelknopf. Lisa schaute an sich herunter und stellte entsetzt fest, dass sie ein scheußliches Krankenhausnachthemd trug. Energisch betätigte sie die Klingel. Erst nach etwa drei Minuten kam eine Krankenschwester ins Zimmer. Im typisch geschäftigen Krankenschwesterschritt kam sie an Lisas Bett und steckte ihre Hände in die Taschen ihres weißen Kittels. Diese junge, kurzhaarige Frau kam sich vor wie eine Ärztin, fand Lisa.
„Hallo, Frau Suhrhoff, mein Name ist Schwester Beate. Wie geht es Ihnen?“
„Gut“, krächzte Lisa leise. Das Sprechen fiel ihr schwer und sie musste husten. Schwester Beate griff nach einem Glas auf Lisas Nachttisch und reichte es ihr.
„Trinken Sie mal einen Schluck Wasser, Sie haben bestimmt einen trockenen Hals.“
„Was Sie nicht sagen“, ätzte Lisa. Sie nippte und bekleckerte sich.
„Ich brauche meine Sachen. Wo sind die denn?“
„Immer langsam, Frau Suhrhoff. Ich hole jetzt erst einmal den Arzt und dann
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