Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
endlich erschöpft ein. Viel Zeit zum Schlafen blieb ihr nicht, denn kaum dass es draußen hell wurde, kam mit viel Getöse die spanische Reinigungskraft in Lisas Zimmer und knipste alle Lampen an.
„Guten Morgen, haben Sie gut geschlafen? Ich nicht, meine Kinder sind krank und mussten spucken, die ganze Nacht! Oh, Ihnen ist was runtergefallen!“
Die Putzfrau bückte sich und griff nach einem Stück Papier, das unter dem Bett lag. Sie warf einen kurzen Blick darauf, errötete ein wenig und legte es Lisa diskret mit dem Druck nach unten auf den Bauch.
„Danke“, sagte Lisa und nahm das große Blatt in die Hand. Als sie den Zettel umdrehte, weiteten sich ihre Augen vor Schreck, ihre Gesichtsfarbe war plötzlich deutlich dunkler als die der Putzfrau. Es war das Foto des Einbrechers. Lisa, nackt in ihrem eigenen Bett, mit den Fingern im Schoß.
***
Bis Lisa in die Psychiatrie musste, wurden ihr ein paar Tage Heimaturlaub gewährt. Die Ärzte und Therapeuten hielten sie für durchgedreht und meinten, dass ihr einige Wochen psychologische Betreuung gut tun würden. So sehr Lisa sich auch wehrte, es hatte keinen Zweck. Nur Hanna und Elaine glaubten ihr, dass jemand auf der Lauer lag und sie fertig machen wollte. Die drei Frauen saßen in Hannas Wohnzimmer und hatten sich Pizza vom Bringdienst liefern lassen.
„Ich habe noch nie Pizza mit den Händen gegessen, geschweige denn ohne Teller“, sagte Lisa erstaunt und griff mit spitzen Fingern nach einem Pizzastück.
„Dann wird es höchste Zeit, du Hausmütterchen! Dein Mann hat dich ganz schön eingesperrt all die Jahre.“ Hanna war wieder ganz in ihrem Element als Lisas Beschützerin. Ihre eigene Tochter allerdings vergaß sie über den Trubel fast komplett. Kimberley und Hanna hatten sich überhaupt nichts mehr sagen und das Mädchen hielt sich entweder in der Schule, ihrem Zimmer oder beim Vater auf. Alles drehte sich derzeit um die drei Frauen – und Hanna fand, dass sie es allesamt irgendwie verdient hatten. Wo waren sie selbst geblieben im Laufe ihrer Ehen und Mutterschaften?
„Sprichst du nicht grad auch ein bisschen von dir selbst?“, fragte Elaine, während sie aufstand und in Hannas Küche lief. „Hast du Bier hier?“
„Bier? Im Keller, ja, falls Sören es nicht mitgenommen hat, keine Ahnung. Soll ich mal gucken?“
„Nein, nachher habt ihr auch noch ein Kellerzimmer!“ Elaine kicherte und bemerkte nicht, wie taktlos ihre Bemerkung war. Lisa fing schon wieder an zu flennen. Es war nicht gerade leicht mit ihr in den letzten Tagen.
„Himmel, Lisa, sorry! Das meinte ich doch nicht so. Ich bin eine unsensible Kuh, entschuldige bitte!“
„Geht schon, ist nicht schlimm. Ich hab einfach so Angst. Vor allem hab ich Angst! Mein ganzes Leben geht den Bach runter. Was kommt als Nächstes? Nimmt man mir dann die Kinder weg?“
„Quatsch“, beeilten Hanna und Elaine sich zu sagen, obwohl sie beide auch schon das gleiche befürchtet hatten. Die arme Julia, der arme Sebastian – was die beiden Kinder durchmachen mussten, war doch noch viel schlimmer, als Kimberleys oder Chantalles Geschichten! Es beruhigte sie irgendwie, dass andere es noch schlimmer traf. Aber Lisa tat ihnen wirklich leid, das betonten sie immer wieder.
„Ich muss auch gleich mal nach Hause“, sagte Elaine.
„Warum das denn? Es ist noch nicht mal Mitternacht und wir haben allesamt keine Kerle mehr, die auf uns warten. Chantalle macht vielleicht meinen Mann wieder heiß…“
„Nee! Soll ich dir was verraten, Hanna? Ich glaub, dein Mann hat schon wieder eine Neue! Channi ist jedenfalls gar nicht gut zu sprechen auf euren Sören.“ Schon wieder übertrat Elaine eine unsichtbare Grenze. Manchmal ging sie wirklich zu weit mit ihren Sprüchen. Hanna lachte aufgesetzt, aber sie war sauer. Es war schon ein Unterschied, ob sie selbst über ihren Mann meckerte oder ob es eine dritte Person tat. Noch dazu die Mutter von Sörens Ex-Geliebter. Außerdem wollte Hanna gar nichts davon wissen, ob Sören schon wieder mit einer anderen rummachte. Er kämpfte doch um Hannas Gunst, schickte Blumen und war sehr aufmerksam, wenn er Kimmy abholte oder sie telefonierten. Es tat weh, dass sie nun nebenbei erfuhr, wie es wohl in Wirklichkeit aussah. Nämlich wie immer – Sören war ein notorischer Fremdgänger.
„ Euer Sören, also echt… du kommst immer auf Ideen“, versuchte Hanna das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Jedenfalls ist Chantalle nicht zu Hause, Kimberley
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