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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Altgriechisch oder Latein studieren, nein, ich werde Architektur studieren, ich möchte eine gute Architektin werden. Ich werde mein Praktikum bei Ihnen aber zu Ende bringen, wie es sich gehört, und ich werde Ihnen danach als Assistentin des Bauausschusses zur Verfügung stehen. In dieser Funktion kann ich erste Erfahrungen sammeln.

    Ich lehne mich etwas zurück und bin leicht verärgert, nicht darüber, dass sie das Fach Ethnologie als Studienfach nicht in Betracht zieht, sondern darüber, dass sie mir gerade im Handumdrehen das Thema für unser Meeresplatten-Gespräch gestrichen hat. Sie lässt ihre rechte Hand auf meiner linken Hand liegen, ich bemerke es mit einem gewissen Erstaunen, tue aber nichts dagegen.
    – Enttäuscht Sie meine Entscheidung sehr? fragt sie leise.
    – Nun ja, antworte ich, ich hatte damit nicht gerechnet. Sie waren so begeistert und aufmerksam bei der Sache. Ich hatte nicht den Eindruck, dass Sie von der Ethnologie so rasch lassen würden.
    – Ja, das verstehe ich gut. Ich bin aber ein sehr impulsiver und direkter Mensch, und diese Impulsivität und Direktheit könnte ich in die Ethnologie nicht einbringen.
    – Ehrlich gesagt, habe ich Sie bisher gar nicht für derart impulsiv und direkt gehalten, ich hatte eher den Eindruck, Sie seien ein sehr nachdenklicher und sorgfältig abwägender Mensch.
    – Ja, ich dachte mir, dass Sie so etwas annehmen. Sie haben ja auch recht, aber Sie haben eben einige andere Seiten von mir bisher noch nicht kennengelernt.
    – Mag sein, antworte ich ruhig, aber wie hätte ich von diesen anderen Seiten wissen können?
    – Richtig, sagt sie da (beinahe triumphierend), Sie konnten von diesen anderen Seiten nichts wissen. Und genau deshalb sitzen wir beide ja hier. Damit Sie diese Seiten endlich kennenlernen!

    Alles, aber auch alles läuft falsch! denke ich, erst stiehlt sie mir mein Thema und dann punktet sie mit einem eigenen. Sie will mir ihre anderen Seiten zeigen, und ich
ahne, worauf das hinausläuft! Ich sitze still da, ich überlege, wie ich entkommen könnte, vielleicht wäre ein plötzlicher Anruf das Richtige, eine dringende, wichtige Sache oder dergleichen. Da aber wird die große Meeresplatte serviert, und gleich drei Kellner erscheinen, um die monströse Silberplatte mit dem schillernden Meeresgetier genau in der Mitte des Tisches aufzubauen. Wir sagen beide nichts, wir schauen zu, es ist ein feierlicher Moment, und von den anderen Tischen auf der Terrasse blicken die Gäste ebenfalls schweigend zu uns herüber. Dann ziehen sich die Kellner zurück, und wir nehmen uns betont langsam und aufmerksam der Austern und Schalentierchen an, die auf einem Bett von zerstoßenen Eisstücken liegen. Während die erste geöffnete Auster auf meinen Teller schwebt, wird auch der Weißwein serviert. Ich frage nach, was es ist, und der Kellner erklärt, es sei ein Donnafugata. Adriana probiert ihn, und auch ich darf probieren, und dann trinken wir beide einen größeren Schluck, und ich bemerke, dass Adriana Bonni Gefallen an diesem Wein findet.

    Ein Donnafugata?! Ausgerechnet? Auf Sizilien ist ein Donnafugata keine Seltenheit, dennoch stutze ich, denn ein Donnafugata ist auch einer von Lucios Lieblingsweinen. Hat Adriana etwa mit ihm engeren Kontakt? Und hat er ihr all diese Kennerschaft beigebracht, die sie in jeder Minute dieses Abendessens beweist? Solche Überlegungen wollen mir nicht aus dem Kopf, so dass ich weiter still bin und eine Auster nach der andern schlürfe. Ich sollte nicht derart unhöflich sein und etwas fragen, ich sollte mich um die Unterhaltung kümmern. Ich mache
eine kleine Pause und sage etwas Lobendes über die Austern und darüber, warum ich Austern so mag, als Adriana mit dem dritten Schluck ihr Glas Weißwein leert und zu reden beginnt. Anfangs glaube ich, dass etwas passiert ist, aber ich weiß nicht, was. Ihre Stimme ist von einem Moment auf den andern stark verändert, sie ist rauer und unheimlicher, und Adriana spricht, als spräche sie nicht zu mir, sondern zu sich selbst.

    – Ich habe immer davon geträumt, einmal mit einem Verehrer an einem solchen Tisch zu sitzen und zu zweit Austern zu essen. Bisher ist es noch niemals passiert, ich hatte damit kein Glück. Ich habe überhaupt keine Verehrer, und das kommt daher, dass ich in meinem Leben bereits zwei Verehrer hatte, die andere Verehrer fernhielten. Meine Mutter und mein Vater waren meine Verehrer, die ganze Kindheit war eine einzige Verehrung, sie haben mir jeden Wunsch

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