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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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zusammen mit dem Kuli in seine Aktentasche und rutschte auf Daniels Matratze ein Stück weiter nach hinten. Er kreuzte die Knöchel und legte die Hände in den Schoß.
    »Du hast recht.«
    Der Junge sah auf.
    »Ich bin zu schnell. Tut mir leid. Wir brauchen erst einmal noch gar nichts zu entscheiden.«
    Daniels Augen verengten sich zu Schlitzen, und Leo redete rasch weiter. »Was hältst du von einem Spaziergang? Du könntest mich ein bisschen herumführen. Was gibt es draußen?«
    Daniel zuckte mit dem Schultern. »Fast nur Rasen.«
    »Ich würde mich gern mal umsehen. Zeigst du es mir?«
    »Da ist nur Rasen. Und außerdem wird man verfolgt, als wäre man gerade mit einem Sack in einen Supermarkt rein.« Er deutete auf Garrie. »Drei von denen.«
    Leo und Garrie hatten kurz Blickkontakt. »Drei?« Der Wärter sah weg.
    »Bei mir sind’s immer drei. Bei den anderen nur einer. Außer bei Stash. Der ist achtzehn. Der … der ist echt unheimlich. Der hat auch immer drei, wie ich.«
    »Verstehe. Gut.« Da Leo nichts weiter zu sagen einfiel, sah er sich suchend im Zimmer um. »Was machen wir dann? Fällt dir sonst noch irgendwas ein?«
    »Es gibt einen Spieleraum.«
    »Einen Spieleraum? Super. Warum hast du das nicht früher gesagt? Was gibt es denn da so?«
    Daniel sah ihn ausdruckslos aus.
    »Was ist da drin? Im Spieleraum? Eine Dartscheibe oder so was?« Eine Dartscheibe ganz bestimmt nicht. Mein Gott, Leo.
    »Brettspiele. Monopoly, aber da haben sie das Geld geklaut. Und Tischtennis.«
    Leo setzte die Füße auf den Boden. »Worauf warten wir dann noch? Tischtennis. Es ist zwar schon eine Weile her, aber ich glaube, ich kann’s noch.«
    Daniel schüttelte den Kopf. Er ließ die Schultern hängen.
    »Was ist denn los?«
    »Ich bin eine Niete. Ich kann das nicht.«
    »Unsinn. Das macht Spaß. Los komm, ich zeig dir, wie das …«
    »Nein!«
    Leo setzte sich wieder auf die Bettkante. Er wartete ein paar Sekunden, bis Daniel sich beruhigt hatte.
    »Es gibt eine PlayStation«, murmelte Daniel kaum hörbar.
    »Was ist da?«
    »Eine PlayStation. So Computerspiele. Die lassen mich da nie ran, aber wenn Sie denen sagen, dass wir dran müssen, vielleicht schon.«
    »Wem, ›denen‹?«
    »Den anderen. Den Älteren.« Daniel blickte zu Boden.
    »Klar.« Leo stand auf. »Dann also auf zur PlayStation. Du musst mir zeigen, wie das geht. Ich glaube, ich weiß nicht mal mehr, wie man einen Joystick hält.«
    Der Blick, den Daniel Leo zuwarf, hätte von Ellie kommen können.
    »Dann hoch mit dir«, sagte Leo. »Führ mich hin. Ich meine …« Leo wandte sich zu Garrie. »Falls das in Ordnung ist?«
    Der Wärter zeigte nun endlich, dass er auch lächeln konnte. Er trat hinaus in den Flur. Daniel folgte ihm, und Leo ging als Letzter und betrachtete die schmalen Schultern des Jungen. An der Tür hielt Leo inne. »Warte mal«, sagte er und dachte: Scheiß auf die Geschworenen. Er ging zurück ins Zimmer und nahm das Tablett mit den Sandwiches. »Falls wir Hunger bekommen.«

11
    E r ging auf und ab. An Hinsetzen war nicht zu denken. Er fühlte sich wie ein nervöser Vater – oder ein werdender Vater. Wobei das wahrscheinlich an der Umgebung lag: an dieser Kantine, die genauso kahl und trostlos war wie alle anderen Kantinen in den öffentlichen Institutionen des Landes. Es gab nichts, was ihn hätte ablenken können. Nicht nur nichts, sondern auch niemanden, nicht einmal hinter dem Tresen. Wäre Leo nicht allein gewesen, hätte er sich wenigstens damit beschäftigen können, beschäftigt zu wirken. Aber so tigerte er einfach herum und unterbrach das Hin und Her zwischen dem Besteck und den Soßen nur ab und an durch einen Blick zur Tür, alle zehn Schritte oder so.
    Er hätte sie gern vorbereitet. Knapp vierundzwanzig Stunden zuvor hatte er ihr am Telefon in Kürze das Wichtigste gesagt, aber seitdem waren ihm ein Dutzend Dinge eingefallen, die ganz sicher hilfreich für sie gewesen wären. Oder besser gesagt, für den Fall – und die Karen so völlig unvorbereitet vielleicht übersah. Dann wäre es Leos Schuld: Wenn irgendetwas unter den Tisch fiel, worauf man hätte hinweisen sollen, wenn Daniel auf die falschen Fragen antworten musste – oder wenn der Junge womöglich gar nicht antwortete. Doch Karen hatte sich nicht beirren lassen. Das passt schon, Leo. Mehr brauche ich nicht zu wissen. Sie war ganz allein hierher gekommen und wäre danach auch direkt wieder gefahren, hätte Leo sie nicht angefleht, ihm vorher wenigstens

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