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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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einschätzen. Die Nähte spannten über seinem wurstartigen Bizeps. Ohne ein Wort schloss er sich ihnen an. »Das ist Garrie«, sagte Bobby. »Er wird Sie heute begleiten.«
    Im Gehen sah Leo nach hinten. Er nickte, aber Garrie schwieg. Leo drehte sich wieder um, und Bobby zuckte mit den Achseln und zwinkerte ihm noch einmal zu. »Nicht sehr gesprächig, unser Garrie. Aber er hat ein Auge auf Sie.« Bobbys Blick glitt hinab zu Leos Wange und dann schnell wieder in eine andere Richtung.
    Sie mussten warten, bis die nächste Doppeltür von innen geöffnet wurde, und dahinter befand sich dann endlich ein Empfangstresen, an dem Leo etwas unterschreiben musste. Zwei weitere Wärter sahen zu, wie er ungeschickt mit dem Kugelschreiber hantierte. Sie kontrollierten seine Aktentasche und zeigten den Inhalt Bobby, der nickte. Ein Wärter gab Leo seinen Passierschein, den er an der Brusttasche befestigte. Bobby klopfte ihm auf die Schulter.
    »Sind Sie so weit?«

    Er hatte zugenommen. Es war gerade mal eine Woche her, aber Daniels Gesicht war definitiv rundlicher geworden. Vorher war er eher hager gewesen; im Hinblick auf die Gesundheit des Jungen war das also etwas Positives. Doch Leo musste sofort an die Geschworenen denken. Es war gut, wenn er wie ein Straßenkind aussah. Ausgemergelt wäre noch besser. Rotwangig, wohlgenährt, korpulent: All das sprach von Entspannung und Zufriedenheit – vor allem aber von mangelnder Reue.
    Immerhin war er ordentlich gekleidet, und das war ja schon mal etwas. Fast wie die Wärter, die an den Wänden des Aufenthaltsraums standen, trugen die Jungen alle gepflegte Hemden und Hosen, und Daniel sah geradezu korrekt aus, so als hätte ihn seine Mutter für eine Familienfeier hergerichtet. Seine Haltung ließ noch zu wünschen übrig – er schien von Natur aus einen leichten Buckel und Hängeschultern zu haben –, und sein Haar hätte besser ausgesehen, wenn er das Gel herausgewaschen hätte, aber mit ein paar kleinen Veränderungen hier und da sah er beinahe …
    Leo berührte seine Wange. Seine Gedanken waren voreilig.
    »Daniel?«, sagte Bobby.
    Der Junge saß in einer Ecke des Sofas, das am weitesten von dem Fernseher oben an der Wand entfernt war. Um ihn herum waren mehrere ältere Jungen, die trägen Blicke an eine Naturdokumentation geheftet, und Daniel schien die anderen aufmerksamer zu beobachten als die Sendung. Er hatte sich etwas abseits von ihnen niedergelassen, die Knie an die Brust gezogen und die Arme um die Schienbeine geschlungen. Als er seinen Namen hörte, schreckte er hoch.
    »Sie dürfen sich vor dem Unterricht eine halbe Stunde lang hier aufhalten«, sagte Bobby. Daniel stand langsam auf. »Und abends noch eine Stunde, aber nach acht bleibt der Fernseher aus. Sie können lesen, Brettspiele spielen und bestimmte Arten von Musik hören. Aber Karten sind tabu. Und Glücksspiele auch.«
    Hart, aber fair, wollte er wohl damit sagen, doch Leo musste wieder an die Zeitungen denken. Die Boulevardblätter hätten sicher ihr Budget gesprengt für ein Foto von der Szene, die sich ihm bot, ungeachtet des Fernsehprogramms und der gelangweilten Blicke der Jungen. Wenn es nach der Presse ginge, würden diese Kinder im Steinbruch arbeiten, bevor sie überhaupt wegen irgendetwas verurteilt waren.
    Bobby wurde still, als Daniel näher kam.
    Der Junge schlurfte. Er schien genau zu wissen, dass die anderen Jungen ihn beobachteten, und irgendwie schaffte er es, im Stehen kleiner zu wirken als zuvor im Sitzen.
    »Du hast Besuch, Daniel. Ich glaube, du hast Mr. Curtice etwas zu erzählen.«
    Daniel war einige Schritte vor ihnen stehen geblieben. Er lief rot an und sah über die Schulter zu den Jungen, die um den Fernseher herumsaßen. Er murmelte irgendetwas, das Leo nicht verstand.
    »Bitte noch einmal, Daniel. Sprich deutlich.«
    Die anderen kicherten. Daniel wurde jetzt hochrot. »Tut mir leid wegen Ihrem Gesicht«, sagte er, ging mit dem Blick aber nicht höher als bis zu Leos Kinn. Ein anderer Junge hatte sich ihnen genähert, und Garrie, Leos Leibwache, trat einen Schritt auf ihn zu und führte ihn weg.
    »Besser«, sagte Bobby und sah Leo erwartungsvoll an.
    »Das ist schon in Ordnung, Daniel, wirklich«, sagte Leo. »Es war ein Unfall. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.«
    Irgendwo machte jemand Kussgeräusche. Ein paar der älteren Jungen lachten.
    »Das ist zwar nicht ganz die Botschaft, die wir zu vermitteln versuchen, Mr. Curtice«, sagte Bobby, »aber Daniel weiß

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