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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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Umschlag rieselten ihm Glassplitter in den Schoß. Leo ignorierte sie ebenso wie den pochenden Schmerz und bekam endlich den Zettel zu fassen. Er schüttelte ihn, faltete ihn auf, drehte ihn um und starrte darauf.
WIE WÜRDEST DU ES FINDEN LEO
UND DEINE TOCHTER ?
DER JUNGE IST EIN MÖRDER
LASS IHN VERRECKEN

13
    I n der Lobby roch es nach Leder und jahrhundertealten Büchern, und es herrschte eine luxuriöse Stille. An den Wänden hingen Gemälde, und auf Beistelltischen lagen sorgfältig aufgefächerte Hochglanzmagazine – Country Life und Vanity Fair. Leo, der einige Mühe hatte, in dem kaffeebraunen, gepolsterten Chesterfield-Sessel nicht zusammenzusacken, wurde das Gefühl nicht los, er müsste seine Krawatte zurechtrücken. Sein Anzug war noch von der Zugfahrt zerknittert und erschien ihm jetzt formloser und abgewetzter, als er ihn in Erinnerung gehabt hatte. Kein Vergleich mit denen, die von Zeit zu Zeit über handgenähten Schuhen mit Ledersohlen vorbeischwebten. Leo musste aussehen wie ein Bauerntölpel; so kam er sich zumindest vor. Das hier war nicht seine Liga, so sagte man doch. Und es traf in so vielerlei Hinsicht zu.
    »Leo!«
    Leo, der sich mit den Fingerspitzen aufs Knie trommelte, hatte nicht einmal bemerkt, dass es in der Lobby einen Aufzug gab. Als er den Kopf hob, hatte sich klammheimlich die Holzvertäfelung ihm gegenüber geöffnet. Dahinter kam eine hochglanzpolierte Kabine zum Vorschein, und heraus trat der Mann, dessentwegen Leo hier war.
    »Dale.« Leo sprang auf. Er knöpfte sein Jackett zu und streckte die Hand nach der aus, die ihm bereits entgegengehalten wurde.
    Dale Baldwin-Tovey hätte eigentlich ein Arschloch sein müssen. So hatte Terry ihn bezeichnet, als die Kanzlei ihn das letzte Mal engagiert hatte, um einen Mandanten als Kronanwalt vor Gericht zu vertreten, aber Leo hatte sich zum Widerspruch verpflichtet gefühlt, was vielleicht nicht verwunderlich war. Dale war jünger als Leo und auch Terry. In finanzieller Hinsicht war er deutlich erfolgreicher. Dort, wo es darauf ankam, hatte er mehr Haare als die beiden, und dort, wo es doppelt auf ihr Fehlen ankam, weniger. Sein Gebiss war fast so eindrucksvoll wie das von Howard, aber sein Lächeln weniger prahlerisch. Sein gutes Aussehen schien ihm fast ein wenig unangenehm zu sein, und er schämte sich ganz offen für seinen Doppelnamen. Leo fand Dale bescheiden, sympathisch und fast schon beunruhigend scharfsinnig. Ein Arschloch also, wie Terry sagen würde, genau aus dem Grund, dass er keins war.
    »Haben Sie gut zu uns gefunden? Hatten Sie eine angenehme Fahrt?« Die Hand auf Leos Schulter, führte Dale ihn zum Aufzug. Dale drückte den Knopf und hielt den Finger darauf, als wollte er nicht, dass sein Gast warten musste.
    »Ja, völlig problemlos, danke.«
    »Gut. Wunderbar. Noch einmal vielen Dank, dass Sie hochgekommen sind. Tut mir leid, dass Sie den Weg auf sich nehmen mussten, aber ich komme diese Woche einfach nicht aus London weg.«
    »Das ist schon in Ordnung, wirklich«, sagte Leo und lächelte freundlich. Obwohl er den Termin in Wahrheit beinahe abgesagt hätte. Ellie weigerte sich, wieder zur Schule zu gehen, und Meg hatte Leo gebeten, mit ihr zu reden. Doch dazu hatte Leo gar keine Gelegenheit gehabt; er hatte in der vergangenen Woche ja selbst mit Megan kaum mehr als ein paar Sätze zwischen Tür und Angel gesprochen. Seine Frau war alles andere als glücklich, das war ihm bewusst. Aber der Fall – Daniel – konnte einfach nicht warten, das verstand Megan offenbar nicht. Und dann natürlich die Drohbriefe. Leo war zwar nicht wohl dabei, sie seiner Frau zu verheimlichen, aber sie ihr zu zeigen wäre angesichts ihrer offenkundigen Angst auch nicht das Richtige, jedenfalls nicht, bevor Leo nicht für sich selbst zu einer Entscheidung gefunden hatte, ob man sich deshalb Sorgen machen musste oder nicht. Was genau genommen ein weiterer Grund war, weshalb Leo am Ende doch gefahren war.
    Der Aufzug kam, und Dale bedeutete Leo einzusteigen. Die Türen schlossen sich, und Leo war von einem Heer seiner eigenen Spiegelbilder umzingelt. Der dunkle Parkettboden war die einzige Oberfläche, die nicht glänzte. Es war Leos erster Besuch in einer Londoner Anwaltskanzlei, und das Erstaunen stand ihm wohl ins Gesicht geschrieben.
    »Lassen Sie sich bloß nicht beeindrucken«, sagte Dale. »Die Ausstattung hier ist ungefähr so echt wie die Whiskeyfässer im Irish Pub an der Ecke. Man soll einfach gern hierher kommen – und

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