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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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also …?«
    Leo schüttelte den Kopf.
    »Alkoholiker ist er auch nicht? Drogenabhängig? Und er war zu dem Zeitpunkt auch nicht betrunken oder so?«
    »Er ist zwölf, Dale.«
    Noch einmal zog Dale kurz die Augenbrauen hoch. »Sie würden sich wundern.« Er blickte mit gerunzelter Stirn auf sein ledergebundenes Notizbuch. Sein Kuli schien sich zwischen seinen Fingern von ganz allein zu drehen. Leo sah zu, wie er herumwirbelte, einerseits dankbar, einen Mann mit solchem Geschick auf seiner Seite zu haben, andererseits beängstigt bei dem Gedanken, dass es womöglich gar keinen Unterschied machte, ob er Dale als Verbündeten hatte oder nicht.
    »Sie haben wohl recht«, sagte Dale. »Verminderte Schuldfähigkeit wäre die einzige Option, wenn Daniel sich entschließt, auf nicht schuldig zu plädieren.«
    Leo spannte sich an. Er hörte schon ein Aber.
    »Aber bei der derzeitigen Beweislage sehe ich einfach keine Möglichkeit, wie wir den Fall schaukeln könnten.«
    Dieses »wir« wirkte jetzt großzügig. Ein Trostpflaster, weiter nichts. Leo wartete.
    »Wann findet die Anklageverlesung statt?«, fragte Dale nach einer kurzen Pause. »In einem Monat, sagten Sie?«
    »Ja, in gut einem Monat.«
    »Und Ihr Klient. Daniel. Besteht er darauf, egal, was Sie ihm raten?«
    Darauf hatte Leo gewartet. Er hatte darauf gewartet – aber bereit war er dazu nicht gewesen. »Er besteht auf überhaupt nichts.«
    Der Stift in Dales Hand stoppte.
    »Er vertraut mir.« Leo blickte auf den Tisch bei diesen Worten, merkte jedoch im selben Moment, dass sie einen gewissen Stolz in ihm weckten. Er sah auf. »Ich habe von Daniel die Anweisung, das zu tun, was ich für das Beste halte.« Er wartete, doch die folgende Stille fühlte sich an wie ein Tadel. »Er ist ein Kind, Dale. Man kann nicht von ihm erwarten, dass er etwas so Komplexes wie …«
    Dale nickte und streckte ihm die Handfläche entgegen. »Was ist mit seinen Eltern? Was sagen denn die?«
    »Sie schienen mit verminderter Schuldfähigkeit einverstanden zu sein, bis ihnen klar wurde, was das nach sich zieht. Jetzt sind sie der Meinung, Daniel soll auf schuldig plädieren. Auf die Gnade des Gerichts hoffen.« Sagen Sie denen, Daniel war es und es tut ihm leid – waren das nicht Blakes Worte gewesen? Als wäre »tut mir leid« eine Zauberformel, als genügten diese Worte, um die Zukunft seines Stiefsohnes zu retten.
    »Der Junge ist kein unbeschriebenes Blatt, oder?«
    »Nein, aber bisher waren es nur kleinere Vergehen. Kinderkram, wirklich, und alles schon eine Weile her. Es könnte uns sogar helfen. Meinen Sie nicht auch? Wenn wir es so darstellen, dass das Hilferufe waren. Seine Schulakte zum Beispiel. Könnten wir die nicht auch verwenden?«
    Dale lächelte Leo müde an. »Das glauben Sie doch nicht im Ernst, Leo.«
    Recht hatte er. Leo glaubte es nicht im Ernst.
    »Was ist mit den Schulen?«, fragte Dale. »Mit Daniels Lehrern? Könnten deren Aussagen uns irgendwie weiterhelfen?«
    Leo dachte am Ms. Bridgwater, Daniels ehemalige – und Ellies derzeitige – Schulleiterin. »Was könnten sie denn zu sagen haben?«
    Dale dachte nach. Er schüttelte den Kopf. »Sie haben recht. Es wäre kaum von Bedeutung.«
    Leo richtete sich auf. »Es gibt viele Hinweise darauf, dass Daniel Probleme hatte. Sein Vater ist in Haft, hat die Familie im Stich gelassen, als Daniel acht war. Und außerdem hat er in den letzten drei Jahren ständig die Schule gewechselt. Viermal? Oder fünfmal? Er ist sein Leben lang immer nur von einem Ort zum nächsten geschickt worden. Er braucht Hilfe, aber man hat ihm nie die Hand gereicht. Ich meine, er ist nicht ja blöd, das zeigt sein IQ, aber er müsste eigentlich schon ein Schuljahr weiter sein.«
    »Er wurde um ein Jahr zurückgestuft?«
    Leo nickte. »Und er ist auch in seiner jetzigen Klasse der Schlechteste.«
    »Irgendeine Lernbehinderung?«
    »Es wurde nichts festgestellt. Eine der Schulen hat mal die vorläufige Diagnose Hyperaktivität gestellt. Aber wenn Sie mich fragen, war das nur ein Tipp. Oder vielmehr ein Abtun. Einig sind sich alle eigentlich nur, dass Daniel ein Störenfried ist. Ein ›leistungsschwacher Schüler‹ – sagt man nicht so?«
    »Und die Sozialeinrichtungen? Stand er irgendwo auf der Liste?«
    »Nein, damals nicht. Als er noch ein Kleinkind war, gab es mal ein Untersuchungsverfahren, weil er immer wieder in der Notaufnahme aufgetaucht ist. Aber es kam nicht viel dabei heraus. Unfallanfällig, hieß es am Ende. Eins von

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