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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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mit fortschreitender Kahlheit zu kämpfen haben müsste. »Ein echter Coup«, wiederholte Howard. »Gut gemacht, Leonard.« Wieder legte ihm sein Chef eine Hand auf die Schulter. Er führte Leonard in eine begrünte Ecke des Großraumbüros. »Wie viele Fälle haben Sie im Moment? Liegt viel an?«
    »Nein, eigentlich nicht. Ein bisschen Kleinkram. Im Großen und Ganzen das Übliche.« Nur der übliche Einheitsbrei – Vandalismus und Ruhestörung, nicht einmal eine Körperverletzung. Ihre Arbeit war in letzter Zeit so eintönig, dass Howard eigentlich hätte Bescheid wissen müssen. Kein Wunder, dass die ganze Kanzlei in heller Aufregung war. Kein Wunder, dass Leo es war.
    »Geben Sie ab, was Sie abgeben können, wenigstens für die nächste Woche. Reden Sie mit Terence. Sagen Sie mir Bescheid, wenn er sich querstellt.«
    »Wenn Sie meinen, Howard. Aber ich komme bestimmt auch so zurecht mit …«
    »Natürlich, Leonard. Aber Sie werden genug um die Ohren haben, das verspreche ich Ihnen.« Howard blieb stehen. »Sind Sie bereit, Leonard?« Sein Chef fasste ihn an beiden Schultern und sah ihm in die Augen.
    »Bereit? Na ja, ich …«
    »Verstehen Sie, was ich Sie da frage? Ist Ihnen klar, dass das vollkommen anders wird als alles, was Sie bisher erlebt haben?«
    »Ja, doch, sicher.«
    »Das ist ein Mörder, Leonard. Er ist zwölf Jahre alt, und er ist ein Killer.«
    Leo versuchte ein Lächeln. »Ein mutmaßlicher Killer, Howard. Denken Sie daran, dass …«
    Howard drückte fester zu. Durch das Polyestergewebe seines Hemds hindurch spürte Leo seine Fingernägel. »Jetzt mal Klartext, Leonard. Kosten Sie den Moment ruhig aus, in Ordnung. Sonnen Sie sich in der Aufmerksamkeit, wenn Sie das brauchen. Aber dieser kleine Bastard hat ein elfjähriges Mädchen umgebracht.« Leo zuckte zusammen, zum einen, weil sein Chef genauso redete wie Terry, und zum anderen wegen des Verbrechens selbst. »Um ein Haar hätte er sie vergewaltigt, verdammt noch mal. Sie sind sein Rechtsvertreter. Sie stehen auf seiner Seite, so wird es das ganze Land sehen. Lassen Sie sich das mal durch den Kopf gehen. Überlegen Sie sich, was das bedeuten könnte.«
    »Ich habe ein dickes Fell, verlassen Sie sich darauf«, sagte Leo, obwohl es sich anfühlte, als würde die Haut an seinen Schultern jeden Moment zerreißen. »Wirklich, Howard.« Er drehte den Oberkörper weg, und sein Chef ließ ihn los. »Ich komme zurecht. Das wird schon.«
    »Und Megan? Ihre kleine Tochter – Eleanor, nicht wahr? Haben Sie es denen schon erzählt?«
    »Was? Nein. Noch nicht. Mach ich heute Abend. Wenn ich nach Hause komme. Ich hatte ja kaum eine ruhige Minute seit dem Anruf. Wann kam der? Gegen zwei? Und jetzt ist es schon …« Leo sah auf die Uhr. »Ach du meine Güte. Es ist spät, Howard. Ich sollte allmählich los. Und Sie auch. Celia wird sich schon fragen, wo Sie bleiben.«
    Howard sah Leo an; über seinen sorgenvollen Augen trafen seine Brauen in der Mitte zusammen. »In Ordnung«, sagte er. Dann entfaltete er langsam wieder sein Alabastergrinsen.

2
    E r hätte sie fast vergewaltigt, verdammt noch mal. Es stimmt, er war kurz davor gewesen. Und trotzdem war es nicht zu einer Vergewaltigung gekommen. Dafür war Leo dankbar; der Rest war schon mehr als genug.
    Felicity Forbes war ein paar Jahre jünger gewesen als Leos Tochter. Ellie war fünfzehn, und Felicity wäre bald zwölf geworden. Ihr Geburtstag fiel auf den Tag, an dem ihr Tod genau einen Monat her sein würde, rechnete Leo aus. Kein großer Altersunterschied also, aber davon abgesehen war Felicity offenbar ein ganz anderes Kind gewesen. Schon rein äußerlich: Ellie hatte blondes Haar wie ihre Mutter, und sie war sehnig und hatte Sommersprossen; die kleine Forbes dagegen war kräftig gewesen, mit kastanienbraunem Haar und gebräunter Haut. Pummelig, aber nicht dick. Auf dem einzigen Foto aus Lebzeiten, das Leo gesehen hatte, schien ihr breites, fröhliches Lächeln die Namenswahl ihrer Eltern voll und ganz zu bestätigen – Felicity, Glücksseligkeit. Auch das stand im Kontrast zu Ellie. Wenn man Ellie fotografieren wollte, war sie verschämt, sogar ärgerlich. Durch die Linse Jagd auf sie zu machen war, als würde man einem wilden Tier nachstellen, und wenn sie es bemerkte, reagierte sie dementsprechend.
    Beide Mädchen galten in ihrer jeweiligen Schule als mittelmäßig. In Ellies Fall unterstellte Leo jedoch deutlich mehr Potential – und das nicht nur, weil er ihr Vater war, wie er sich

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