Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)
des Pathologen. Das Tatwerkzeug selbst wurde nie gefunden, aber die Schrammen – die Verletzungen – ließen offenbar keinen Zweifel.
Mit einem Stock. Dieser Junge, das Kind: Es hatte einen Stock benutzt.
Sie war ein roter Farbtupfer, der über einen Zaun klettert, und als Nächstes eine Leiche, gefesselt mit einer weggeworfenen Lichterkette und nach mehreren Stunden in der Exe blau und aufgedunsen. Was in der Zwischenzeit geschehen war, konnten die Ermittler anhand der Bilder nur mutmaßen. Es waren Dutzende, nur eins von dem Mädchen zu Lebzeiten, aber allein sechs Stück von ihren mit Draht gefesselten Händen. Sieben, acht oder neun von ihrem zerfetzten, schlammigen Mantel, der eine Meile flussabwärts am Ufer angespült worden war. Unzählige Aufnahmen von Felicity selbst: ihr Gesicht mit den Schlammstriemen, ihre aufgequollenen und blutleeren Wunden, die abgebrochenen und eingerissenen Fingernägel – ihre einzigen Waffen gegen einen Angreifer, der wirklich alles zu Hilfe genommen hatte, was greifbar gewesen war.
Sie war ertrunken. Oder vielmehr: ertränkt worden. Das war letztendlich die Todesursache gewesen. Vielleicht unter Wasser gedrückt worden. Wahrscheinlich jedoch eher in den Fluss gestoßen, noch immer mit Draht gefesselt, die Taschen voller Steine und auf dem Rücken den Rucksack voll Bücher. Das Kind, der Junge: Er hatte an alles gedacht.
Er hätte sie fast vergewaltigt, verdammt noch mal. Darauf ritten sie alle herum, so als gäbe es nichts Schlimmeres als Vergewaltigung. Aber was die Polizei anging, genügte das sicherlich. Es war brutal genug, um es der Presse zum Fraß vorzuwerfen, und mehr als ausreichend, um die Öffentlichkeit zur Mithilfe zu bewegen. Der Rest, die ganze Wahrheit, wäre zu viel gewesen. Für Leo, der die Sache verfolgt hatte, jedoch nicht mit der Leidenschaft – dem Furor – der anderen, war es bereits mehr, als er je erwartet hätte. Dieser Junge, dein Mandant: Das hat er getan. Das ist also dein Fall in allen Einzelheiten. Das ist dein Grund zum Feiern.
Er fragte sich, was Terry in der Kanzlei wohl gesagt hätte, wenn er es gewusst hätte; ob er dann vollends rotgesehen hätte oder ob sein Zorn in sich zusammengefallen wäre.
Wie sollte man schließlich auch anders reagieren, als in sich zusammenzusacken? Man konnte entsetzt sein, ja, zornig sicher auch, aber beides nur auf der Grundlage einer inneren Überzeugung, nämlich der, dass das, was einem da erzählt wurde, tatsächlich geschehen war, dass das Böse entgegen allem, was man über die Grundprinzipien der Menschlichkeit zu wissen glaubte, entfesselt und grenzenlos war – mit Leichtigkeit in der Lage, sich selbst zu übertreffen.
Und sein Vater. Er war gestorben – vor einem guten Jahr –, aber in Leos Kopf lebte er weiter. Was würde er dazu sagen? Nachdem Leos Mutter sie verlassen hatte und seine eigene Karriere den Bach runterging – Karriere war ohnehin schon zu viel gesagt –, hatte Matthew Curtis seine ganze Hoffnung in die Zukunft seines Sohnes gesetzt. Er war immer so stolz auf das gewesen, was Leo tat – nicht darauf, was der Job in Wirklichkeit bedeutete, sondern auf seinen Beruf. Die Chance, etwas zu bewirken, in seinem Leben etwas zu bewegen. Mehr als ihm selbst je gelungen war, hatte sein Vater zu ihm gesagt – kurz nach Leos bestandener Prüfung und nur wenige Wochen vor seinem ersten Schlaganfall.
Was würde sein Vater jetzt denken? Über Leo, seine kaum verhohlene Freude darüber, dass er – wie hatte Howard es ausgedrückt? – auf der Seite dieses Jungen stand.
»Leo?«
Meg steckte den Kopf zur Tür herein. Schnell schob Leo die Fotos unter seine Akten.
»Es ist schon spät. Kommst du ins Bett?«
Leos Armbanduhr war mit dem Zifferblatt nach unten gerutscht. Das Metall klimperte leise, als er sie herumdrehte. »Ach du meine Güte. Warum hast du mich nicht gerufen? Ich wollte doch die Nachrichten gucken.«
»Ich habe sie dir aufgenommen. Ich hab extra aufgepasst, aber du warst nirgends zu sehen«, sagte sie lächelnd.
»Nein. Jetzt sowieso noch nicht. Ich meine, das war nicht der Grund, weshalb ich …« Er rang sich ebenfalls ein Lächeln ab. »Danke.«
»Also, was ist, kommst du jetzt hoch? Das kannst du dir nicht die ganze Nacht ansehen. Davon kriegst du ja Alpträume.«
Leo klickte die Fotos weg, die noch auf dem Bildschirm zu sehen waren. Schlechte Träume würde er so oder so bekommen; Megan blieb vielleicht noch ein paar Nächte verschont.
»Ich
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