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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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durch den Vorraum auf ihn zukam, richtete er sich zu seinen vollen ein Meter neunzig auf.
    »Kann ich Ihnen helfen?« Es war mehr eine Kampfansage als eine Frage.
    Aber Leo blickte schon über den glänzenden Bullenschädel des Wachmanns hinweg auf den Etagenplan an der Wand, auf das Treppenhaus und einen nicht sehr vertrauenerweckenden Aufzug weiter hinten. Die Feuilletonabteilung war nicht aufgelistet, falls es so etwas gab, aber die Redaktionsleitung lag im dritten Stock. Er wandte sich in Richtung Treppe.
    »He!« Der Wachmann machte einen Schritt auf ihn zu und packte ihn. Leo versuchte zu entkommen, aber vergebens.
    »Lassen Sie mich los!« Leo zerrte an der Hand des Mannes.
    »Haben Sie einen Termin? Sir? Sie können hier nicht einfach so hereinspazieren.«
    »Mache ich ja gar nicht. Ich bin Anwalt. Ich will zu …«
    »Zu wem?« Der Wachmann ließ Leos Kragen los, stellte sich ihm aber wie eine Mauer in den Weg.
    »Einem der Journalisten. Die für den Fall Forbes zuständig sind.« Etwas anderes fiel ihm nicht ein. Er hatte schließlich kaum ein Gesicht vor Augen, geschweige denn einen Namen im Kopf.
    »Ach so? Zu welchem denn?« Der Gorilla verschränkte die Arme.
    Und dann fiel er ihm ein. Nicht der Name, aber immerhin überhaupt ein Name. »Cummins«, sagte er. »Tim Cummins.« Der Verfasser des Artikels.
    Ein Mann, den er ab und zu bei den Presseleuten sah, die sich am Gericht herumdrückten.
    Der Wachmann zog die Stirn in Falten. Seine Lippen zuckten, und widerstrebend löste er seinen Griff.
    »Ist er da? Bitte sagen Sie ihm, Leo Curtice will ihn sprechen.«
    Leo richtete sein Jackett, zog die Schultern zurück und sah den Hünen vor sich so herablassend an, wie er nur konnte.

    Tim Cummins stieg aus dem Lift, einen Finger zwischen den Zähnen. Er war genauso unrasiert wie beim letzten Mal, als Leo ihn gesehen hatte – auf der Treppe vor der Polizeiwache, am Tag nach Daniels Festnahme –, und er fragte sich, ob die Ungepflegtheit des Mannes wohl vorgetäuscht war, der provinzielle Versuch, etwas Fleet-Street-Lässigkeit auszustrahlen. Aber dann nahm Cummins den Finger aus dem Mund, kaute auf dem Stück von seinem Frühstück herum, das er sich gerade aus den Zähnen gepult hatte, und streckte dieselbe Hand nach Leo aus.
    »Mr. Curtice. Leo! Was führt Sie hierher?«
    »Tim. Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen.« Leo schluckte seine Abscheu hinunter. Er warf einen kurzen Blick zu dem zähneknirschenden Security-Typen, der immer noch hinter ihnen stand.
    Cummins schien es jetzt auch zu bemerken. »Alles in Ordnung, Kurzer. Sie können wegtreten. Mr. Curtice ist ein Freund von mir.«
    Der Wachmann brummte leise und kräuselte die Lippen; diesen Spitznamen hörte er offenbar nicht gern.
    Der Journalist ging mit Leo auf den Lift zu. »Hey, Kumpel«, sagte er, »diese Sache mit Ihrer Tochter tut mir wirklich so leid.« Er blickte zu Boden und schüttelte den Kopf, dann fuhr er sich noch einmal mit dem Fingernagel zwischen die Zähne. »Aber wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann … Ich meine, Sie würden staunen, wie viel Rückenwind Ihnen so ein Interview geben kann. Haben Sie sich das mal überlegt? Eine Eins-zu-eins-Sache. Nur Sie und ich. Wir würden alles sehr geschmackvoll halten. Hier und da ein bisschen auf die Tränendrüse drücken, aber alles nur für einen guten Zweck.« Er zog eine Augenbraue hoch.
    »Sie können tatsächlich etwas für mich tun«, sagte Leo.
    »Wirklich? Wunderbar. Spucken Sie es aus.«
    »Ich suche einen Ihrer Kollegen. Einen Fotografen.«
    Cummins machte aus seiner Enttäuschung keinen Hehl.
    »Er meinte, er arbeitet als Freelancer. Ein junger Typ oder zumindest ein jüngerer, er trug eine Kappe. Mit so einem Logo drauf. Ein Bild von einem Hai oder so. Sie sah irgendwie amerikanisch aus. Vielleicht von einem Baseball-Team.«
    »Football. Die Miami Dolphins. Aber … ich weiß nicht genau, wen Sie meinen. Wir haben hier so viele Knipser, Leo. Besonders Freie. Wir sind eine große Zeitung, Kumpel.«
    Das war gelogen. Es war ein Provinzblatt im Stil der Sun. Und Cummins log.
    »Hören Sie, Tim. Das hier ist wirklich wichtig. Es geht um meine Tochter. Ich brauche Hilfe. Bitte. Ich brauche Ihre Hilfe.«
    Sie kamen am Aufzug an. Cummins drückte auf einen Knopf, rief seine Möglichkeit zur Flucht. »Tut mir leid, Leo.« Er sprach mit der Leuchtanzeige über den Türen. »Nichts zu machen. Ich würde Ihnen ja gern helfen, das wissen Sie, aber der Kurze da drüben, der hat

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