Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)
Leo bereute die Frage, noch bevor er sie ganz ausgesprochen hatte. »Nein, antworten Sie nicht«, sagte er schnell. »Es war dumm von mir, so etwas zu fragen.«
Sie gingen durch eine weitere Doppeltür in den Vorraum. Vor dem Sicherheitstresen blieben sie schließlich stehen.
Bobby atmete hörbar aus. Offenbar dachte er tatsächlich über Leos Frage nach. »Man kann nie wissen«, war die Antwort, zu der er schließlich kam. »Er braucht auch ein bisschen Glück, meinen Sie nicht?«
Das brauchte er wirklich, so viel stand fest. Und vielleicht hatte er ja tatsächlich welches. Aber dass Bobby nichts Ermutigenderes zu sagen wusste, machte Leo nicht gerade Hoffnung.
Bobby streckte die Hand aus, und Leo schüttelte sie.
»Mr. Curtice. Was ich noch sagen wollte, wegen Ihrer Tochter …«
Aber weiter kam Bobby nicht. Er merkte, dass Leo mit seiner Aufmerksamkeit schon woanders war. Leo sah über Bobbys Schulter auf die beiden Wärter, die jetzt glucksend hinter dem Tresen saßen. Der Jüngere von beiden, mit glattem Haar, fliehendem Kinn und einem Teint, der auf zu viele Nachtschichten schließen ließ, hatte etwas gesagt, das seinen älteren und dickeren Kollegen zum Lachen gebracht hatte. Leo hatte jedes Wort verstanden.
»Sie.« Leo ließ Bobbys Hand los und trat an ihm vorbei zum Tresen. »Was haben Sie da gerade gesagt?«
Die Wärter sahen auf. Ihre Drehsessel standen dicht beieinander, doch als Leo näher kam, rückten sie ein Stück auseinander. Der Jüngere schluckte.
»Sagen Sie das noch mal. Was Sie da gerade gesagt haben.« Leo stand jetzt am Tresen und blickte darüber. Zwischen den beiden Wärtern und zwei leeren Kaffeetassen lag die Post vom Morgen. Auf dem Titel prangte ein Bild von Daniels Gesicht, natürlich bearbeitet.
»Mr. Curtice? Alles in Ordnung?« Bobby stand jetzt direkt hinter Leo. Leo zeigte mit dem Finger auf den jüngeren der beiden Wärter.
»Sie. Sagen Sie das noch einmal. Was Sie da gerade gesagt haben.«
Der Mann wich Leos zornigem Blick aus. »Es … Es tut mir leid, Bobby. Das war nur ein Witz, wirklich.« Er wandte sich zu seinem Kollegen, der demonstrativ wegsah.
»Was haben Sie gesagt? Mervyn? Was hat Mr. Curtice Sie sagen hören?«
Leo starrte auf die Zeitung. Auf das Bild darin.
»Ich habe nur gesagt … Bloß dass …« Wieder ein Blick zu seinem Freund. »Dass manch anderer alles tun würde. Um, na ja. Um sein Bild in der Zeitung zu sehen.« Den letzten Satz sagte er sehr schnell. »Das war ein Witz, Bobby, wirklich, nur ein Witz. Das sollte niemand hören.« Er sah Leo mit gesenktem Kopf an.
Leo schüttelte den Kopf. »Über Leichen gehen, haben Sie gesagt. Manch anderer würde über Leichen gehen, um einmal in der Zeitung zu sein. Das haben Sie gesagt.« Er sah den Wärter bei diesen Worten nicht an, sondern starrte nur auf die Titelseite der Post.
25
E s war schäbiger, als er erwartet hatte. Oder vielleicht so schäbig, wie er es hätte erwarten sollen angesichts des Ladens, der dort seinen Sitz hatte. Ein vierstöckiger Betonklotz ohne jegliche architektonischen Schnörkel und wahrscheinlich irgendwann zwischen den Kriegen erbaut. In den unteren beiden Etagen waren die Fenster abgeklebt, als würden die dazugehörigen Räume als Lagerräume genutzt. Und das Gebäude als Ganzes sah tatsächlich ein bisschen so aus wie eins von denen, die man quadratmeterweise mieten konnte, um seinen Krempel zu verstauen. Nur das Schild – das rot-weiße Titellogo der Exeter Post und darunter der vollständige Name – bestätigte Leo, dass er hier richtig war. Das Schild und die Handvoll Schreiberlinge, die vor dem Eingang standen und rauchten.
Er war nicht dabei. Nachdem Leo den Wagen halb schräg im Parkverbot vor dem Gebäude abgestellt hatte, bekam er einen guten Blick auf ihre Gesichter, denn sie drehten sich alle um und musterten ihn. Aber das, nach dem er Ausschau hielt, war nicht darunter. Vorausgesetzt, Leo würde es überhaupt erkennen. Aber doch, er würde es erkennen, ganz sicher. Er musste.
Er drängte sich durch das Grüppchen hindurch zum Eingang, rempelte irgendjemanden am Arm an und streifte mit dem eigenen eine brennende Zigarette. Ohne sich umzudrehen, bat er um Verzeihung und drückte und zog, bis sich die gläserne Doppeltür schließlich einen Spalt weit öffnete.
Hier erwartete ihn ein weiterer Sicherheitstresen, ein weiterer Wärter. Dieser schien den kleinen Aufruhr bemerkt zu haben, den Leo vor der Tür verursacht hatte, denn als Leo
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