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Das Kind der Priesterin

Das Kind der Priesterin

Titel: Das Kind der Priesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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Krieg um den Fortschritt verlöre, dann würden die Liberalen einen Rückschlag in ihrer Politik erleiden, der nur schwer zu überwinden wäre.
    Etaa lauschte, doch als ich geendet hatte, bemerkte ich ihre dunklen Augen fest auf mich gerichtet, blitzend und hart wie schwarze Diamanten im Feuerschein. Sie sagte: „Wenn du mich geraubt hast, um mich vor dem König zu retten, warum willst du mich dann nicht zu meinem Volk gehen lassen? Du sagst, damit würde der Krieg aufhören …“
    Ich zögerte. „Weil der Krieg jetzt nicht aufhören würde, Etaa, zu viele andere Dinge sind darin verwickelt. Wenn der Krieg vorbei ist, kannst du nach Hause gehen; jetzt ist es nicht sicher für dich, wo der König immer noch nach dir suchen könnte.“ Und die Liberalen auch, und die würden sie finden.
    Sie ließ das silberne Glöckchen leise unter ihren Fingern klingeln, die immer noch zuckten, wie um zu antworten. „Ich weiß, warum der Krieg nicht endet. Du sagst, das Sternvolk will Frieden und ein angenehmes Leben für uns, und nur wenige wünschen uns Ungemach. Dann sag mir doch, warum die „Götter“ die Neaaner dazu drängen, mein Volk zu brandschatzen und zu verfolgen! Mein Volk besteht nicht aus Narren, die man irreführen kann, es kämpft, weil es einen guten Grund dazu hat, und der Grund seid ihr! Die Neaaner waren unsere Freunde, bis ihr zu ihnen gekommen seid, und jetzt spucken sie auf uns. Du bietest uns eure Hilfe an, ‚Gott, verschone uns!’ Wir haben genug davon.“ Sie nahm Alfilere auf, der friedlich damit beschäftigt war, eine Puppe aus Stoffetzen in meine leeren Stiefel zu stopfen; sie stand da und durchbohrte mich mit einem Blick, bevor sie sich ihrer Ecke mit der Strohmatte zuwandte.
    „Du hast sehr gut zu sprechen gelernt, Etaa“, sagte ich schwach. Sie schaute aus dem Schatten zu mir herüber, und Enttäuschung machte ihre Worte weicher. „Besser als du, Tarn.“
    Ich zog mich in meine eigene, abgedunkelte Ecke zurück und lauschte, wie Alfilere sich selbst in den Schlaf wiegte und wie seine Mutter seufzte. Und ich dachte über die Belastung nach, die auf einer Kultur liegt, wenn neue Ideen zu schnell auftauchen, und über die Notwendigkeit eines Ventils, um den Druck zu lindern – einer Katharsis … die Menschen hatten in ihrer Vergangenheit ziemlich viele Ventile nötig gehabt, und die Tramainer brauchten jetzt eines, und wir gaben es ihnen. Wir ließen sie die Kotaaner umbringen. Das war ein bösartiger Ausweg, aber sie waren bösartige Kreaturen … Doch rechtfertigte das alles? Nicht nach unserer Philosophie der Einheit, nicht nach unseren Maßstäben. Und wir hielten diese Maßstäbe aufrecht; zumindest glaubte ich das. Alles Leben ist unser Leben, und deswegen zerstören wir aus Mutwillen keine Spezies, ganz gleich, wie widerwärtig oder bedrohlich sie für uns ist. Ja, wir greifen wohl ein, um uns zu schützen, aber wie weit darf das gehen? Wie war es mit den Kharks, der Massenvernichtung so vieler für den „Komfort“ der Menschen? Die Kharks waren die höchstentwickelte Art, die auf dem Planeten heimisch war; war es richtig, sie so weit unterhalb der menschlichen Eindringlinge einzuordnen? Hatte die menschliche Lust am Zerstören auch uns angesteckt – oder war diese politische Blindheit philosophischen Idealen gegenüber allgegenwärtig?
    Ich war noch nicht überall gewesen – ich war kaum irgendwo gewesen, und ich hatte nie in Frage gestellt, was man mich gelehrt hatte; ich hatte nie einen Grund dazu. Die liberale Partei argumentierte für mehr Xeno-Selbstbestimmung, und ich sah das nicht ein, weil es im Zusammenhang mit Menschen Selbstmord bedeutete. Die Liberalen pfuschten mit der Gesellschaft der Menschen herum, um unseren festgefahrenen Status quo zu stürzen und den Bezirksrat zu zwingen, einen „besseren“ anzunehmen. Und das brachte Blutvergießen und Chaos über die Menschen. Die Liberalen stießen mich ab – aber waren wir denn ehrlicher und nur größere Heuchler? Auf einmal gab es keine Antworten mehr; es gab nur noch Menschen, die für ihre „Götter“ litten und starben, und das Wort „Im Namen der Religion werden mehr Greueltaten vollbracht als aus irgendeinem anderen Grund“. Ein Zitat der Menschen. Endlich schlief ich ein, zerrissen vor Erschöpfung und Unentschiedenheit, und ich träumte, wie ich auf das Reich der Menschen stieß, das gekommen war, um seine verlorene Kolonie zurückzuverlangen: eine Kolonie von Tauben und Blinden, die im Zustand unwissender

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