Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kind der Priesterin

Das Kind der Priesterin

Titel: Das Kind der Priesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
Vom Netzwerk:
übriggeblieben war. Ihre Lippen bebten. „Hywel … Hywel ist in diesen Raum gekrochen, und als ich hinterherkam, habe ich … habe ich das hier gefunden, wie es um ihn herumschlich.“
    „Etaa, das … ist mein Kind.“
    „Nein!“ Abscheu flackerte in ihren Augen auf, über die Wahrheit oder über ihre Tat oder über beides.
    „Doch …“ Ich ging zu dem zitternden Bündel, indem ich das Stück mied, das jetzt reglos und schweigend dalag; der Rest war dicht beieinander und wimmerte nach Trost und Wärme.
    Ein qualvoller Schrei löste sich aus Etaas Brust, und ich sah, wie sie das Gesicht in ihr eigenes Kind grub. Sie sank auf den staubigen Boden nieder und schluchzte ihre Verzweiflung hinaus.
    Ich hielt meine Kleinen umfaßt und rang nach der Kraft, den Worten, die uns beiden helfen sollten. „Ich hätte es dir sagen müssen … ich hätte dich warnen sollen. Sie sind hilflos, Etaa, sie würden deinem Sohn nichts tun. Bei … bei meinem Volk bekommt man Kinder nicht, wie ihr – vollendet, in einem Stück. Wir formen sie nach und nach, indem wir jedes unserer Körperteile duplizieren; so wie ich mir eine neue Hand wachsen lassen konnte, als ich sie brauchte. Manche Teile dienen einem besonderen Zweck, sie schützen das übrige und sind anders entwickelt; sie hätten ihn stechen können … aber es ist harmlos.“
    Sie sah mich kopfschüttelnd an, ihr Mund war so stark zusammengepreßt, daß sie nicht sprechen konnte.
    „Ich hätte es dir sagen sollen, Etaa.“
    „Sie …“ Sie atmete tief ein. „Sie gehören – dir?“
    „Ja.“
    „Aber ich dachte …?“
    „Du hast gedacht, ich sei ein Mann? Das bin ich. Ich bin aber zugleich eine Frau. Wir vereinigen uns nicht, um ein Kind zu zeugen; wir gestalten ein eigenes und erwählen uns jemanden, den wir lieben, um es zu teilen: Ein Teil unseres Kindes für ein Teil des ihren, nach der Geburt.“
    Leise stöhnte sie wieder, um Verstehen kämpfend. „Oh, Mutter, hilf mir … Oh, Tarn, was habe ich dir angetan?“ Sie drückte Alfilere so heftig an sich, daß er protestierend aufschrie.
    Ich sah weg; sie hatte getan, was alle Menschen taten, nämlich aus Furcht gehandelt, mit Gewalttätigkeit reagiert und aus Unwissenheit blindlings Tod und Qual verhängt. Ich war einst ein Mensch gewesen und hatte sie alle verabscheut, doch erst jetzt, nachdem ich die menschliche Gestalt verloren hatte, lernte ich wirklich etwas über den menschlichen Sinn und Geist – und jetzt, angesichts dieser so schrecklichen Tat fand ich, daß es meine eigene Schuld war. „Du kannst nichts dafür. Und diese Verletzung kann geheilt werden … wir haben es darin besser als ihr. Es wäre nie geschehen, wenn du die ganze Zeit Bescheid gewußt hättest.“
    Sie aber saß nur da und wiegte ihr Kind, das Glöckchen an ihrem Ohr klingelte leise in ihrem hilflosen Kummer.
    An den folgenden Tagen verbrachte Etaa lange Stunden allein, durch die offene Tür unserer Herberge schaute sie hinaus über die seufzende, zerstörte Welt oder wanderte mit ihrem Kind auf dem Rücken am Rande der Klippen entlang. Die Wolken am Himmel waren um diese Zeit nur Windwolken, dunkel und von Blitzen durchzuckt, gaben sie niemals genügend Feuchtigkeit ab, um den endlosen Staub zu binden. Der Wind war heiß und trocken, zerriß die Wolken und wirbelte den Staub hoch in die oberen Luftschichten, wo er das eherne Blau dämpfte, das manchmal in dieses Land der düsteren Farben hereinbrach. Voller Verlangen beobachtete sie den Himmel, als die Sommersonnenwende näher kam, und als es soweit war, vollzog sie, so gut es ging, die kotaanischen Riten. Doch Wolken verbargen den Triumph der Sonne, und sie hörte auf, bevor sie beendet waren – ihre Augen leer und gehetzt.
    In der Abenddämmerung kam sie zu mir, während ich im Eingang kauerte und das leuchtende Phantasie-Antlitz des schwellenden Cyclops hinter den Wolken hervorblinken sah. Irgendwo hinter uns im Feuerschein hörte ich Alfilere im Schlaf murmeln. Sie schob eine dunkle Locke vom Auge zurück, sie irritiert wegstreichend, als sie zurückfiel. Schließlich sagte sie: „Es ist doch wahr, Tarn, oder nicht?“
    „Was?“ Ich wartete; ich wußte, daß mehr sie bewegte als das Geheimnis meines Kindes. „Was du mir erzählt hast: daß wir nicht mehr auf der Erde sind, daß wir auf Laa Merth sind? Und …“ – angestrengt hielt sie ihre Stimme im Zaum – „… und der kleine Fleck, der vor Cyclops’ Antlitz vorbeizieht wie eine Fliege … das ist die Erde? Ich

Weitere Kostenlose Bücher