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Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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gut, bringen wir es hinter uns.«
Er strich Simon mit der freien Hand über den Kopf und glaubte selbst nicht, dass er diese Worte wirklich zu einem Zehnjährigen sagte:
»Zeig mir doch mal genau, wo du den Mann erschlagen haben willst.«

3.
S imon führte sie um den Schuppen herum. Vor vielen Jah ren musste sich hier einmal ein zweistöckiges Arbeitsgebäude befunden haben. Doch dann hatte es gebrannt, und jetzt ragten nur noch einzelne, verkohlte Wandteile wie verkrüppelte Handfl ächen in den bewölkten Abendhimmel. »Siehst du, hier ist nichts.«
Sterns Taschenlampe wanderte langsam über die Ruine. »Er muss hier aber irgendwo liegen«, antwortete Simon, als ginge es um einen verlorenen Handschuh und nicht um eine Leiche. Auch er war mit einem winzigen Leuchtstift ausgestattet. Einer Plastikstange, die im Dunkeln fl uoreszierte,
sobald man sie einmal umknickte.
»Aus seinem Zauberkasten«, war Stern von Carina aufgeklärt worden. Offenbar hatte das Kind neben der Rückführung auch noch normale Geburtstagsgeschenke erhalten. »Ich glaube, da unten war es«, sagte Simon aufgeregt und ging einen Schritt nach vorne.
Stern folgte seinem ausgestreckten Arm und leuchtete in Richtung des ehemaligen Treppenhauses, von dem jetzt nur noch der Kellerzugang zu sehen war.
»Da können wir aber nicht runter. Das ist lebensgefährlich.«
»Wieso?«, fragte der Junge und stakste mit seinen Turnschuhen über eine lose Ansammlung von Ziegelsteinen. »Bleib hier. Das kann alles einstürzen, Schatz.« Carina klang ungewöhnlich besorgt. Früher war sie in Roberts Gegenwart immer ein Ausbund an Fröhlichkeit gewesen. Fast so, als ob sie die permanent in ihm schwelende Melancholie durch ein Übermaß an Lebenslust wieder ausgleichen wollte. Doch gerade jetzt schien es ihr große Angst zu machen, dass sich Simon wie ein unerzogener Hund benahm, den man von der Leine gelassen hatte. Er lief einfach weiter. »Schaut mal, da geht’s rein!«, rief er plötzlich. Und noch während die beiden protestierten, verschwand sein Lockenkopf hinter einem Stahlbetonträger.
»Simon!«, brüllte Carina. Stern beeilte sich ebenfalls mit unbeholfenen Schritten, über den Schutt zu den beiden aufzuschließen. In der Dunkelheit knickte er mehrfach um und riss sich an einem rostigen Draht seine Anzughose auf. Als er endlich den Eingang zum Keller mit der dahinterliegenden, rußschwarzen Holztreppe erreichte, bog der Junge gerade zwanzig Stufen tiefer um die Ecke.
»Komm da sofort wieder raus!«, rief Stern in den Schacht
hinein und verfl uchte augenblicklich seine unbedachte Wortwahl. Er wusste in derselben Sekunde, dass die Erinnerung, die dieser Satz bei ihm auslöste, schlimmer war als alles, was ihm hier widerfahren konnte.
Komm da raus. Schatz, bitte. Ich kann dir helfen …
Es war nicht die einzige Lüge geblieben, die er Sophie damals durch die verschlossene Toilettentür zugerufen hatte. Ohne Erfolg. Vier Jahre lang hatten sie beide alles versucht. Jede Technik und Behandlungsmethode ausprobiert, bis sie endlich den ersehnten Anruf aus der Fertilitätsklinik erhielten. Positiv. Schwanger. Damals, vor fast genau zehn Jahren, kam es ihm vor, als ob eine höhere Macht die Kompassnadel seines Lebens völlig neu justiert hätte. Der Zeiger stand plötzlich auf Glück, und zwar in seiner reinsten Form. Leider verweilte er dort nur für die kurze Zeit, die Stern benötigte, um mit Leuchtaufklebern einen Sternenhimmel an die Decke des neuen Kinderzimmers zu basteln und gemeinsam mit Sophie die Babywäsche auszusuchen. Felix trug sie nicht ein einziges Mal. Er wurde noch in dem Strampler beerdigt, den die Schwestern ihm auf der Säuglingsstation angezogen hatten.
»Simon?«, rief der Anwalt so laut, dass er sich damit selbst aus seinen düsteren Gedanken riss. Er zuckte zusammen, als Carina neben ihm das Gleiche tat.
»Ich glaub, hier ist was!«, drang die Kinderstimme dumpf zu ihnen hoch.
Stern fl uchte und prüfte mit seinem Fuß die erste Stufe. »Es hilft nichts, wir müssen da rein.«
Auch diese Worte erinnerten ihn wieder an den grausamsten Moment seines Lebens. Als Sophie mit ihrem toten Baby in ihren Armen auf die Krankenhaustoilette gefl üchtet war und es nicht mehr hergeben wollte. »Plötzlicher Kindstod«
lautete damals die Diagnose, die sie nicht akzeptieren wollte. Zwei Tage nach der Entbindung.
»Ich komm mit«, erklärte Carina.
»Blödsinn.« Stern zog vorsichtig sein anderes Bein nach. Die Treppe hatte fünfunddreißig Kilo

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