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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Feuchtigkeit auf dem Tisch nervös mit einer Serviette auf. Ich wusste, dass sie in letzter Zeit wenig gegessen hatte.

    »Hast du Hunger?«
    »Nein.« Sie lächelte mich an. »Erst im September.«
    Ich trank mein Bier aus. »Die Russin ist tot.«
    »Welche Russin?«
    »Die bei uns im Garten war. Sie ist – war – gar keine Russin, sondern Ukrainerin. Aus Kiew.«
    »Hm.« Sie rieb sich nachdenklich die Schläfe. »Warum ist sie tot?«
    »Sie ist ertrunken.«
    »Also ein Unfall.«
    »Möglich.«
    »Und?« Sie trank einen Schluck Schorle.
    »Sie war eine ehemalige Zwangsarbeiterin. Sie ist von einer Kirchengemeinde nach Berlin eingeladen worden.«
    »Merkwürdig. Was hatte sie dann bei uns zu suchen?«
    »Das frage ich mich auch.«
    »Zwangsarbeiterin.« Sigrun schüttelte den Kopf. »Ich sehe da überhaupt keine Verbindung. Sie wollte doch zu meinem Vater, nicht wahr?«
    Ich nickte.
    Sie fuhr über den Rand ihres Glases. »Nein. Da gibt es keine Zusammenhänge. Mein Vater war im Mai ’45 elf Jahre alt. Und mein Großvater war in Belgien stationiert. Omi hat das Haus gehalten, so gut es ging. Niemand hatte Verbindungen zur Industrie oder zur Landwirtschaft. Selbst das Gut in Pommern war eher ein Familienbetrieb.«
    Die verlorenen Latifundien des freifräulichen Familienzweiges waren schon mehrere Male und immer voller Wehmut zur Sprache gekommen.
    »Hat sie denn gar nicht gesagt, was sie wollte?«
    »Sie hat davon gesprochen, dass Utz etwas unterschreiben sollte. Einen Zettel. Nicht für sie, sondern für eine Frau namens Natalja. Ich habe ihm den Zettel gegeben.«

    »Und?«
    »Er hat ihn weggeworfen.«
    »Na also.« Erleichtert trank sie ihr Glas aus.
    »Aber ich hatte das Gefühl, der Name Natalja würde ihm etwas sagen.«
    »Das bildest du dir ein.« Sie nahm meine Hand. »Vergiss das alles. Ein Verwechslung. Oder, schlimmer noch, eine Betrügerin. Vielleicht wollte sie Geld. Oder sie hat das Haus ausgekundschaftet. Wir werden es nie erfahren.«
    Ich winkte der Bedienung zu, um zu zahlen.
    Sigrun beugte sich näher zu mir. »Aber wenn dir arme, alleinstehende Frauen am Herzen liegen und du etwas für die Barmherzigkeit tun willst …«
    »Was?«
    Sigrun lehnte sich wieder zurück. Die Bedienung trat an den Tisch, kassierte, und Sigrun verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Was?«, fragte ich noch einmal.
    »Ich will heiraten.«
    »Wen?«, fragte ich und erntete einen bitterbösen Blick. »Wann?«
    »Demnächst. Vor den Wahlen.«
    »Das ist kein Grund.«
    Sie trommelte mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte. »Nach den Wahlen auch nicht. Wir hatten es schon ziemlich lange vor. Ich könnte den Status einer verheirateten Frau gut gebrauchen. Also?«
    »Der Grund überzeugt mich immer noch nicht.«
    »Wie wäre es damit: weil ich dich liebe?«
    Ich sah sie lange an. Wir hatten diese Worte seit Ewigkeiten nicht benutzt. Wir waren einfach zu beschäftigt. Die Liebe war da, doch nicht die Zeit, sie auch zu zeigen.
    »Okay«, sagte ich. »Unter einer Bedingung.«

    »Und die wäre?«
    »Wir ziehen aus.«
    Sigrun öffnete den Mund und machte ihn wieder zu. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Warum eine andere Wohnung? Unsere ist doch schön.«
    »Ja«, antwortete ich. »Aber sie ist mir ein bisschen zu familiär. Es ist nicht mein Haus, verstehst du?«
    »Es ist doch völlig unwichtig, ob du uns ein eigenes Haus kaufen kannst oder nicht.«
    »Eben. Für den Anfang reicht ja auch eine Wohnung. Wenn dir das als Senatorin nicht zu wenig ist.«
    Sie schnaubte ärgerlich. »Natürlich nicht. Muss es gleich sein, oder kann ich noch in Ruhe packen?«
    »Es hat Zeit. Wir müssen nichts überstürzen. Ich will nur nicht dort alt werden, verstehst du?«
    »Und ich will heiraten.«
    »Eine Hand für die andere«, sagte ich leise und hielt ihr meine hin.
    Sie überlegte. Dann reichte sie mir ihre. »Okay. Hast du morgen Abend schon was vor?«
    »Nein. Warum?«
    »Weil wir uns verloben«, sagte sie.
     
    Am nächsten Abend kam Sigrun wirklich unerwartet früh von einem Feuerwehrfest zurück, duschte, nebelte sich mit Apergé ein und tauschte ihr Kostüm gegen das kleine Schwarze mit Großmutters Perlen.
    Sie machte Ernst.
    »Drüben?«, fragte ich, und sie nickte.
    Drüben hieß: in einem Esszimmer, für das sechsköpfige Familien einen Wohnberechtigungsschein brauchten. Drüben hieß: Schweizer Leinen, französisches Kristall, russisches Porzellan. Drüben hieß: altes Europa.

    Utz hatte das volle Programm geordert. Ein

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