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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Gefühl nicht los, dass er die ganze Zeit hinter der Tür gelauscht und auf einen strategisch günstigen Zeitpunkt zur Rückkehr gewartet hatte. Er wurde umgehend zurück in die Küche geschickt.
    »Champagner!«, rief Zernikow hinterher. Seine Lebensgeister schienen zur Höchstform aufzulaufen.
    Walter kam mit dem Champagner, und als die Gläser gefüllt waren, entstand einen Moment lang Schweigen. Sigrun blickte mich an. Utz schien auf etwas zu warten. Walter hielt sich im Hintergrund, das Glas umklammert, und hing an meinen Lippen. Die Freifrau beugte sich sogar vor, um besser zu hören. Mir fiel nichts ein.
    »Also …«, sagte Sigrun.
    Alle hoben die Gläser und fixierten mich. Die Zeit schien stehen
zu bleiben. Utz hob die Brauen. Die Freifrau justierte ihr Hörgerät. Sigrun sah mir in die Augen, und tief in ihnen drin glitzerte nun das Eis der Antarktis.
    »Also …«, sagte ich und hob ebenfalls das Glas. »Auf uns.«
    Die Erleichterung war greifbar. Sigrun hing an meinem Hals und küsste mich, wie sie mich noch nie vor ihrem Vater oder in sonstiger Öffentlichkeit geküsst hatte. Die Alte schüttelte den Kopf und sagte mit Grabesstimme: »Eine Verlobung!« Utz war das pure Wohlgefallen, und Walter kam, als Sigrun mit dem Knutschen fertig war, mit hochrotem Gesicht auf mich zu. »Also, Herr Vernau, meinen Allerherzlichsten! Welche Weichenstellung!«
    Dabei knallte er die Hacken zusammen und bot mir sein Glas zum Anstoßen. »Fräulein Zernikow!« Bei Sigrun kondolierte er mit einer knappen Verbeugung.
    »Eine Hochzeit!«, rief die Freifrau nun. Es klang, als kämen zu Pest und Cholera nun auch noch die Hunnen. »In diesem Hause!«
    Zernikow geriet ins Planen, Sigrun ins Schwärmen. »Wie wäre es, wenn wir die Verlobung an meinem Geburtstag bekannt geben? « Sie strahlte mich an.
    »Wann ist das noch mal?«
    Ihr Lächeln erlosch. » In zwei Wochen. Ich würde mich freuen, wenn du ihn nicht wieder vergisst.«
    »Das wird er nicht«, schaltete sich Utz ein. »Dafür werde ich sorgen.« Er zwinkerte mir zu.
    »Und die Hochzeit?«, fragte ich. Verlobt sein konnte man meines Wissens ziemlich lange. Und man trug nur in den seltensten Fällen seelische Schäden davon.
    »Im August«, antwortete Sigrun wie aus der Pistole geschossen.
    Sommer. Gelbe Felder, singende Lerchen am prallblauen Himmel. Blütenkränze auf lockigem Haar.
    »Während der parlamentarischen Sommerferien.«

9
    Marie-Luise fuhr noch immer einen Volvo. Ob es derselbe wie damals war, wusste ich nicht. Aber sie hatte sich in Schale geworfen und trug ein graues Kostüm, mittelhohe Pumps, das Haar hochgesteckt, frisch gewaschen und gefärbt. Sie sah irgendwie besser aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Sozialisierter.
    Als sie aus dem Auto stieg, ließ sie die Schlüssel fallen. Diese Geste war mir so vertraut, dass ich lächeln musste. Marie-Luise ließ immer alles fallen: Schlüssel, Gläser, Servietten, rohe Eier. Sie war und blieb ein Schussel. Sie ging in die Knie, fand den Bund unter dem Auto, dann sah sie mich. Ich saß am Fenster des Restaurants, in dem wir uns verabredet hatten. Sofort drehte sie sich um und schloss den Wagen ab. Dann stakste sie über den Gendarmenmarkt.
    Der Kellner begleitete sie zu unserem Tisch. Ich stand auf und reichte ihr die Hand. Nach kurzem Zögern ergriff sie sie.
    »Schön, dich zu sehen.«
    Sie setzte sich. »Das Vergnügen ist definitiv nicht meinerseits. Danke, ich esse nichts.« Sie drückte dem verblüfften Kellner die Speisekarte in die Hand.
    »Und der Herr?«
    Ich bestellte einen Teller Spaghetti. Der Mann ließ uns allein.
    »Du siehst gut aus«, sagte ich. »Verändert.«
    An ihren Ohren baumelten immer noch in Altsilber gefasste, türkise Absonderlichkeiten. Sie hatte einen Hang zu tragfähigen Weltanschauungsobjekten.
    »Zwecklos. Keinen Honig, bitte. Beschränken wir uns aufs Geschäftliche, okay?«
    Ich holte die Akten aus der Tasche, während der Kellner das Mineralwasser öffnete. Dabei hatte ich Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken.

    Ich hatte die Witwe kontaktiert und sie so schonend wie möglich auf die Existenz eines weiteren Familienmitgliedes vorbereitet.
    Auf dem Sterbebett hatte Gustav Weinert seinen Fehltritt ausgerechnet der Krankenpflegerin anvertraut. Die hatte sich an die erstbeste Illustrierte gewandt und die Geschichte Gewinn bringend verkauft. Das hatte die uneheliche Tochter auf den Plan gebracht. Ein Gentest bewies das Übrige. Die Tochter leckte Blut und hatte nun vor, sich

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