Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
schwitzt er gerade in Madrid. Völlig unnötig. Er gewinnt die Ausschreibung sowieso. Er gewinnt immer.«
Aaron trank wieder in kleinen Schlückchen und spreizte kaum merklich den kleinen Finger ab. Einen Moment lang überlegte ich, ob er vielleicht schwul war. Dann verwarf ich den Gedanken sofort wieder. Aaron hatte reihenweise Perlenketten tragende Twinsetträgerinnen gefällt. Wenn er jetzt beschloss, schwul zu werden, war das keine Angelegenheit von Dauer, nur ein weiterer Stolperstein in der dornenreichen Beziehung zu seinem Vater.
»Es ist gut, dass Sie sich ruhig verhalten«, antwortete ich. »Sie können gerne an die Öffentlichkeit gehen, sobald Sie rechtmäßiger Besitzer des Grundstückes sind. Doch noch ist es nicht so weit. Was war das letzte Woche?«
Er setzte vorsichtig das Tässchen ab und legte die Fingerspitzen zusammen. »Ich bin der Bauherr. Also wollte ich anfangen.«
»Wer ist der Architekt? Wo sind die Umbaupläne? Wurden sie
dem Bauamt vorgelegt und genehmigt? Welche Absichten haben Sie für die Nutzung?«
Er sah mich groß an und zuckte dann mit den Schultern. »Es ist doch nichts passiert. Ich habe nur einen Bagger ausprobiert. Ich wollte mal sehen, wie so ein Ding funktioniert.« Er grinste. »Ein bisschen buddeln.«
»Herr von Lehnsfeld«, sagte ich. »Wir sind nicht auf dem Spielplatz. Hier. Einstweilige Verfügung, sofortiger Baustopp, Androhung von Bußgeld in fünfstelliger Höhe, eventuell Entzug der Nutzungsrechte und Rückabwicklung des Kaufs. Wissen Sie, was Ihnen bevorsteht?«
Er drehte sich auf seinem funkelnagelneuen Chefsessel einmal um die Achse. Offensichtlich wusste er es nicht. »Gehört mir das Ding nun oder nicht?«, sagte er.
»Nicht ganz.«
»Ein bisschen schwanger gibt es nicht. Für was beschäftige ich eigentlich so hochbezahlte Leute wie Sie?«
»Wir brauchen Zeit. Haben Sie Geduld.«
»Wie lange? Wie viel?«
»Monate«, antwortete ich. »Vielleicht Jahre.«
Er schlug mit der Faust auf den Tisch und sprang hoch. Einen Moment befürchtete ich, er würde sich auf mich stürzen. »Jahre? Monate? So viel Zeit habe ich nicht! Ich will jetzt anfangen! Haben Sie verstanden? Jetzt! Ich will da rein! Ich will in mein Haus!«
Er schlug wieder auf den Tisch. Mein Tässchen fiel um und kullerte herunter. Ich konnte es gerade noch auffangen.
»So einfach geht das nicht.« Schwer, das jemandem zu erklären, für den das ganze Leben bisher einfach gewesen war. »Ihr Haus ist weg, wenn Sie nicht stillhalten. Man nimmt es Ihnen, verstehen Sie?«
Er hielt inne. Dann strich er sich die Haare aus der Stirn. »Noch Kaffee?«, fragte er, als hätten wir gerade Streuselkuchenrezepte ausgetauscht. »Ich habe auch noch Schokocremewaffeln. Ihre Sekretärin
bombardiert mich geradezu damit. Irgendwo muss sie mal aufgeschnappt haben, dass ich das Zeug mag. Ich hasse es. Ich hasse alles, was süß ist.«
Er zog eine Schublade auf und holte eine Packung Waffeln heraus.
Ich lehnte ab. »Ich setze einen Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung und die Bußgelddrohung auf. Ich kann davon ausgehen, dass Sie in oder um das Haus herum vorläufig nichts verändern werden? Herr von Lehnsfeld?«
Er hörte gar nicht zu. Sein Blick hinaus aus dem Fenster führte so weit weg wie seine Gedanken.
»Aaron?«
Er wachte auf. »Ja, natürlich, machen Sie das. Aber begehen kann ich das Grundstück, oder ist das auch verboten?«
Begehen. Aaron am Ufer des Langen Sees, dem Grünauer Sonnenuntergang hinterhersehend. Ein Romantiker mit starkem Hang zur Cholerik.
»Ich denke, dagegen wird niemand Einspruch erheben. Es ist üblich, dass auch Architekten und Statiker Zugang erhalten. Sie müssen irgendwann ein Sanierungskonzept vorlegen.«
»Ja, natürlich. Sanieren. Die Wände. Und den Keller. Vor allem der Keller. Ich glaube, er ist feucht. Da muss man anfangen. Gleich.«
»Nein. Nicht gleich. Später.«
Ich legte ihm eine Vollmacht vor. Er unterschrieb sie. Dann packte ich meine Unterlagen ein und stand auf.
»Was haben Sie eigentlich vor?«, fragte ich. »Wird das hier Ihr Büro?«
Aaron lächelte. »Immobilien. Bauträger. Fondsauflagen. Oder Kunsthandel. Risiko und Rendite sind in beiden Bereichen ähnlich. Ich habe mich noch nicht entschieden.«
Ich nickte bedächtig und versuchte dabei, mein Erstaunen zu verbergen. »Dann viel Erfolg.«
»Ich bringe Sie hinaus.«
Vor der Vitrine blieb ich einen Moment stehen. »Scherben«, sagte ich. »Die bringen Glück. Da haben Sie ja schon
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