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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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mich zusammen und trank. Es war kaum noch zum Aushalten. Ich schlief jede Nacht neben einer nackten Frau, und vor mir räkelte sich gerade ein antifaschistisches Pin-up, und ich durfte nicht. Ich durfte einfach nicht. Weder da noch da.
    »Du willst es doch«, sagte sie.
    Mir wurde nicht nur die Kehle eng. »Was?«, fragte ich heiser.
    »Du willst es wissen. Was dahinter steckt. Es macht dich wahnsinnig,
wenn man dir nicht die Wahrheit sagt. Du hast nur ein Problem: Du weißt nicht, wie man damit umgeht. Manche Wahrheiten überfordern dich einfach.«
    Einen Moment lang fürchtete ich, sie wüsste alles. Doch dann lächelte sie nur hinterhältig und fächelte sich Luft zu. »Und wenn es ganz eng wird und du in deinem neuen Leben so gar niemanden mehr hast, mit dem du reden kannst, kommst du zu mir.«
    »Ich wüsste nicht, wann das in den vergangenen sechs Jahren passiert sein sollte.«
    »Jetzt zum Beispiel.«
    Sie legte die Arme auf den Tisch. Das gewährte wieder tiefe Einblicke. Ich zwang mich, ihr in die Augen zu sehen.
    »Brauchst du wirklich immer noch jemanden, der dir sagt, was richtig und was falsch ist? Wirst du eigentlich nie erwachsen, Joachim?«
    Beziehungsgespräche hatten mir gerade noch gefehlt. Vor allem Gespräche über Beziehungen, die ein halbes Dutzend Jahre zurücklagen.
    »Etwas stimmt da nicht. Das rieche ich. Und du weißt es auch. Aber du kannst noch nicht einmal mit ihr darüber reden. Was für ein armes kleines Leben in einem so großen schönen Haus.«
    Ich winkte dem Libanesen zu. »Zahlen, bitte.« Dann sah ich sie an. »Es war ein Fehler, dir in dieser Sache zu vertrauen. Du musst erst mal erwachsen werden, Marie-Luise. Der Klassenkampf ist vorbei.«
    Sie lächelte. »Immer noch der weiße Ritter unter dem Banner der größtmöglichen Freiheit für das Individuum. Danke. Ich kenne deine Sprüche. Aber hier geht es um mehr. Möglich, dass du diesen Haufen Großbourgeoisie schützen willst. Aber diese Betrügernummer zieht nicht bei mir. Ich habe mich erkundigt. Das Dokument ist echt. Hieb- und stichfest sozusagen.«
    Der Libanese brachte die Rechnung mit zwei Kartoffelschnäpsen, die ich jetzt bitter nötig hatte. »Wem hast du es gezeigt?«

    Sie zuckte mit den Schultern. »Irrelevant.« Sie kritzelte etwas auf den Kassenbon.
    Ich kippte den ersten Schnaps. »Die Kopie einer Kopie einer Kopie.«
    »Eines Dokumentes eines Dokumentes eines Dokumentes«, sagte sie. »Natalja Tscherednitschenkowa lebt. Voilà. Artekovskaja Uliza, Kiew.«
    Ich sah erst in ihr Gesicht, dann las ich die Adresse, die sie auf die Rückseite der Rechnung geschrieben hatte. »Das muss nichts bedeuten.« Ich trank den zweiten Schnaps. Die Schrift verschwamm vor meinen Augen.
    Marie-Luise nahm die Rechnung, zündete sie an und verbrannte sie über dem Pappaschenbecher. Der Libanese äugte misstrauisch hinüber.
    »Woher hast du die Adresse?«
    »Unwichtig.«
    »Alte Familienbande in Moskau?«
    Sie verengte die Augen. »Provoziere mich ruhig. Mach, was du willst. Aber bevor wir gehen, will ich dir ganz kurz sagen, was ich von der Sache halte.«
    In diesem Moment baute sich der Libanese in entschlossener Haltung vor unserem Tisch auf. Marie-Luise legte ein Zwei-Euro-Stück auf den Tisch, ich suchte in meiner Hosentasche nach einem Schein. Als das Geld zusammen war, lächelte er uns kurz an und ging wieder zurück zum Tresen.
    Marie-Luise schaute ihm nach. Zwei junge Männer warteten auf eine Bestellung zum Mitnehmen. Der Libanese säbelte an seinem Dönerspieß herum. Niemand achtete auf uns.
    Leise sagte sie: »Eine ehrenwerte Familie hat ein kleines dunkles Geheimnis. Tief begraben unter den Sedimenten der jüngeren deutschen Geschichte. Und plötzlich taucht jemand auf und erinnert sie daran. Peinlich, peinlich. Immerhin ist das senile Oberhaupt eine geborene Freifrau. Immerhin hat der greise Senior
eine der angesehensten Kanzleien der Stadt. Und schließlich steht seine Tochter, der jüngste Spross, im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Innensenatorin will sie werden. Wie unangenehm, da an diese Lappalie erinnert zu werden. Dieses Kindermädchen. Und wie angenehm, wenn plötzlich ein Unfall passiert, der das Problem aus der Welt schafft.«
    »Du bist verrückt. Niemand wird dir glauben.«
    Sie spielte an ihrem Ausschnitt herum.
    »Das ist nichts wert«, sagte ich. »Die Kopie einer …«
    »… Kopie einer Kopie. Ich weiß. Du bist betrunken.« Sie erhob sich.
    »Willst du schon gehen?« Es war gerade mal halb

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