Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
Petersilie«, riet sie mir. »Schön klein kauen. Das hilft. Manchmal. Und dann ruf Herrn Mittelhöfer an. Er hat schon vier Mal nach dir gefragt.«
»Wer bitte?«
»Ein Pfarrer«, antwortete sie sanft und legte den Zettel vor mir auf den Tisch. »Er sagt, es sei wichtig.«
»Es geht um Frau Tscherednitschenkowa.« Die Stimme von Pfarrer Mittelhöfer kam mir vage bekannt vor. »Kann ich eine Minute mit Ihnen sprechen?«
»Bitte«, antwortete ich und sah auf meine Armbanduhr. Zehn vor zwölf. Ich musste ein Geschenk für Sigrun besorgen.
»Kennen Sie die Dame?«
»Die alte oder die junge?«, fragte ich.
»Frau Milla Tscherednitschenkowa. Die Jüngere. Sie hat mich gebeten, mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen. Ich soll Ihnen nur eine Frage stellen, mehr nicht.«
»Und die wäre?«
»Hat er schon unterschrieben?«
Genervt zerknüllte ich den Zettel. Das Thema war erledigt. Nur Marie-Luise lief noch als Einzel-Kamikaze gegen Besserverdienende durch die Gegend. Ansonsten wusste ich nicht, warum alle Welt der Meinung war, dass man sich an mir schadlos halten könnte. »Nein. Und das wird er auch nicht. Nicht, bevor die Mutter Ihres zart besaiteten Schützlings persönlich vor ihm steht.«
»Ihre Mutter ist sehr krank. Sie kann diese Reise nicht unternehmen.«
»Dann tut es mir leid.«
Draußen schepperte es grauenvoll. Vermutlich war das Festzelt gerade zusammengebrochen.
»Kümmern Sie sich um die Frau, Herr Vernau«, sagte der Pfarrer. »Ich unterliege dem Beichtgeheimnis. Aber eines kann ich Ihnen sagen: Kümmern Sie sich um sie.«
»Um welche, bitte?«
»Die Jüngere«, antwortete er geduldig. »Ich weiß, Sie haben mit all dem eigentlich gar nichts zu tun. Aber Sie waren nach Olgas Tod so besorgt …«
Ich setzte mich auf. »Sie müssen mich verwechseln.«
Doch Herr Mittelhöfer hatte die Gabe, Hartnäckigkeit mit Sanftmut zu paaren. Seine Stimme war die eines Heiligen. »Auch arme Kirchengemeinden verfügen über ISDN. Ich habe mir natürlich Ihre Nummer notiert.«
Fehler, Fehler, Fehler.
»Milla ist sehr aufgeregt. Sie haben ihr doch versprochen, sich um ihre Angelegenheit zu kümmern. Sie wartet jetzt seit fast einer Woche. Es liegt mir fern, in Ihre Familieninterna einzugreifen, aber klären Sie das bald. Milla Tscherednitschenkowa ist nicht gut auf die Familie Zernikow zu sprechen. Ich persönlich halte sie für unberechenbar.«
Ich sah wieder auf die Uhr. Gleich zwölf. Ich hatte einfach keine Zeit mehr für diese Sache. »Ich überlasse solche Klärungen lieber der Polizei«, sagte ich. »Richten Sie ihr das aus.«
»O nein, o nein«, sagte der Pfarrer schnell. »Bitte, tun Sie das persönlich. Meine Mission ist erfüllt.«
Feigling. »Wo erreiche ich sie denn?«
»Das darf ich Ihnen nicht sagen.«
Meine Geduld war am Ende. »Dann sagen Sie ihr, von Seiten der Zernikows besteht kein Interesse an einem weiteren Kontakt.«
»Oh.«
»Und ich habe einen wichtigen Termin.«
Herr Mittelhöfer schwieg.
»Also dann …«
»Ich könnte Ihnen übrigens eine sehr preiswerte Pension empfehlen. Sehr preiswert.«
Einen kurzen Moment lang dachte ich, der Pfarrer hätte ein mentales Problem. Doch dann begriff ich. »Wo?«, fragte ich und zog Papier und Stift heran.
»Ganz zentral, und trotzdem sehr ruhig. Fast schon familiär.«
»Wo?«
»In der Meinekestraße. Pension Adler. Nur für den Fall, dass Sie überraschend Besuch bekommen. Sehr sauber, die Zimmer. Und bei Osteuropäern sehr beliebt. Wir empfehlen das Haus gerne weiter.«
»Vielen Dank«, sagte ich und legte auf.
Ich ließ Connie außen vor und ließ mich über die Telekom verbinden. Es klingelte sehr lange. Endlich meldete sich eine melancholieverhangene Stimme. »Pension Adler, was kann ich für Sie tun?«
Narkoleptikerin im klinischen Stadium.
»Frau Tscherednitschenkowa«, verlangte ich.
Ich wurde ohne Antwort verbunden und ließ es vierzehn Mal klingeln, bevor die Telekom die Verbindung trennte. Ich wählte noch einmal. »Haben Sie eine Ahnung, wo Frau Tscherednitschenkowa jetzt sein könnte?«
Am anderen Ende der Leitung setzte tiefe Nachdenklichkeit ein. »Nein«, seufzte es schließlich.
»Dann möchte ich ihr bitte eine Nachricht hinterlassen.« Ich nannte ihr meinen Namen und die Telefonnummer, die sie verdächtig schnell und ohne Nachfragen zur Kenntnis nahm. Vermutlich schrieb sie nicht mit.
»Isst dass Ihre Frreundinn?«
Ich fuhr hoch. Neben dem Stuhl, auf dem eben noch Georg gesessen hatte, lauerte die
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