Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
Freifrau.
»Frrau Tscherednitschenkoff?«
Es klang wie ein Peitschenknall.
Ich legte auf. »Nein«, sagte ich. »Aber der Name scheint Ihnen bekannt zu sein.«
Sie legte den Kopf nach Rabenart von der einen auf die andere Seite. Dabei beobachtete sie mich mit der Kaltblütigkeit einer ehrgeizigen Wissenschaftlerin im Tierversuchslabor.
»Ich habe gefragt.«
»Und ich habe geantwortet«, erwiderte ich.
Ihre blau geäderten, schmalen Finger klopften ungeduldig auf die Lehne des Rollstuhls. Sie trug einen riesigen Amethystring, eingefasst in antikem Silber. Der Ring schlackerte um ihren Finger und wäre von jeder anderen, die nicht so sehr auf Besitzstandwahrung achtete, schon längst verloren worden.
»Mein Frreund, Sie sind nicht ehrlich. Ich kann das riechen.«
Aha. Wir wollten eine Aussprache.
»Sie können mirr glauben, ich werde allesss tun, um diese Verrbindung zu verhindern.«
»Und warum, wenn ich fragen darf?«
Sie zog die schmalen, mit einem dunklen Strich nachgezeichneten Augenbrauen nach oben.
»Sie prüfen sich selten, nicht wahr?« Mit einem Mal sprach sie normal. Das rollende R, die übertemperamentvolle Betonung war wie weggeblasen. »Sie passen nicht zu uns. Sigrun ist eine starke Frau. Sie braucht einen starken Mann.«
»Und der bin ich nicht?«
Ihr Blick glitt an mir hinunter und machte erst an der Schreibtischkante halt, die alles unterhalb der Gürtellinie verdeckte. Er war so offenkundig abschätzend, dass ich eine Ahnung davon bekam, wie sie wohl in jüngeren Jahren gewesen sein musste. Eine Frau, die nicht wartet, sondern nimmt.
»Ich bezweifle nicht, dass Sie Sigruns Ansprüchen auf gewissen Gebieten genügen.«
Ich musste lächeln. Niemand soll behaupten, Neunzigjährige wüssten nichts mehr vom Sex. »Was irritiert Sie dann so?«, fragte ich.
Die Freifrau hatte Männer ihr Leben lang wohl nur nach ihren Kenntnissen auf ebenjenen unaussprechlichen Gebieten ausgesucht. Doch jetzt schüttelte sie den Kopf.
»Das Bett, pah. Was ist ein großer Schwanz? Den haben viele. Gut, solange man jung ist. Aber später? Wenn das Ding da kleiner wird? Und solche Anrufe häufiger?«
Sie wies verächtlich auf das Telefon. »Zeigen Sie mir den Schwanz, der eine Ehe mit einer Zernikow wert ist.«
»Ich möchte Sie ungern erschrecken.« Ich grinste sie an. »Außerdem verbindet Sigrun und mich mehr als nur das Bett.«
Sie lehnte sich zurück. »Tradition? Herkunft? Sie haben ja noch nicht einmal gedient.«
»Ich bin Berliner«, antwortete ich, nicht im Mindesten von schlechtem Gewissen geplagt. »Außerdem hätte ich eh den Kriegsdienst verweigert.«
Sie lächelte und zeigte ihr tadelloses, strahlend weißes, nach feinster amerikanischer Handwerkstradition gefertigtes Gebiss. »Das habe ich mir gedacht. Aber ich habe Sie heute Nacht gesehen. Ich sehe alles. Ich schlafe nicht, verstehen Sie? Ich schlafe nie. Und deshalb sehe ich alles.«
Ich machte mich so desinteressiert wie möglich an den Papieren auf meinem Tisch zu schaffen. »Und? Gibt es Grund zur Klage?«
»Hören Sie gut zu, junger Mann. Wenn Sie nicht aufhören …«
Ich sollte nicht erfahren, mit was ich aufhören sollte, denn in diesem Moment kamen Schritte über den Flur, dann erschien Walters drahtige Gestalt im Türrahmen.
»Gnädige Frau!« Er trat auf ihren Rollstuhl zu. »Möchten Sie wieder nach oben?«
Die Freifrau reagierte nicht. Walter nickte mir höflich zu. Er drehte den Rollstuhl um und schob sie hinaus.
»Frau von Zernikow?«
Sie schien mich nicht mehr zu hören. Oder sie wollte es nicht.
Ich lief ihr nach. »Sie kannten sie. Natalja Tscherednitschenkowa.«
Sie sah mich mit müden, halb zugefallenen Augen an. Ihre eben noch straffen, entschlossenen Züge hatten sich entspannt. Sie war wieder die alte, nicht mehr ganz zurechnungsfähige Frau mit den plötzlichen Schlafattacken.
»Grüßen Sie Ihre Frau Mutter«, flüsterte sie.
Walter wollte sie wegschieben, doch ich stellte mich ihr in den Weg. »Natalja Tscherednitschenkowa«, sagte ich.
Walter traute sich offenbar nicht, in die noch ungeklärten Autoritätsverhältnisse des Hauses einzugreifen und mich zurechtzuweisen. Er versuchte, mit dem Rollstuhl um mich herum zu fahren.
»Nach Hause«, flüsterte sie.
E. T. hätte geweint. Ihr Kopf fiel zurück. Sie war eingeschlafen. Oder sie tat so.
»Sie entschuldigen.« Walter rempelte mich unsanft an und schob sie an mir vorbei. Am Ende des Ganges holte er den Fahrstuhl, eine mahagonigetäfelte,
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