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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Abel von Lehnsfeld, verschieden im einundneunzigsten Jahr seines Erdendaseins, hochdekorierter Wehrmachtsoffizier, herausragender Gründervater der Bundesrepublik Deutschland, Freund der Künste und honoriger Wohltäter. Draußen, uns den Rücken zugekehrt, murmelten sein direkter Nachfahre Abraham und dessen Sohn Aaron mit dem Pfarrer. Abrahams Weib Verena stand wie immer stumm daneben.
    Sigrun schnupperte hinüber zu einer abseitsstehenden Gruppe.
Zigarettenrauch wehte herüber. »Eine«, flüsterte sie. »Nur eine einzige.«
    Sie hatte sich das Rauchen abgewöhnt, weil es nicht zu einer erneut kandidierenden Stellvertretenden Bürgermeisterin von Berlin und Senatorin für Familie und Soziales passte. Es fiel ihr schwer. Ich reichte ihr ein Pfefferminzbonbon. Sie wickelte es aus und steckte es in den Mund. Dabei grinste sie mich fröhlicher an, als es auf einer Beerdigung schicklich gewesen wäre.
    »Du bist zu spät.«
    Utz, mein Fast-Schwiegervater, war unbemerkt zu uns getreten. Er hakte sich in Sigruns anderen Arm ein und zog sie in den Trauerzug. Wohl oder übel ließ ich sie los.
    »Ich arbeite zu viel.«
    Ich war immer noch in der Probezeit. Nicht nur in seiner Kanzlei, auch in seiner Familie. Utz tätschelte seiner Tochter die Hand. Es war eine liebevolle Geste, die verbarg, dass sie ihn vorsichtig und unbemerkt stützte. Er war über siebzig, und seine aufrechte Haltung und das immer noch volle, von grauen Strähnen durchzogene Haar machten ihn zu einer bemerkenswerten Erscheinung. Er hätte ein Patriarch sein können, wenn ihn nicht etwas daran gehindert hätte, sich zur vollen Größe zu entfalten.
    Und dieses Etwas rollte nun auf uns zu: seine Mutter, Sigruns Großmutter.
    Irene von Zernikow, geborene Freifrau von Hollwitz, brachte ihren Rollstuhl in Position. Und das bedeutete für sie: in die erste Reihe. Über ihr hochgetürmtes schlohweißes Haar hatte sie einen schwarzen Schleier geworfen. Sie saß kerzengerade, ihre magere Gestalt eingehüllt in ein schwarzes Wollkleid, dazu trug sie schwarze Handschuhe. Sie musste ungefähr im gleichen Alter wie der Verstorbene sein. Mit ihren über neunzig Jahren hätte sie zerbrechlich wirken können, wäre da nicht das eiskalte Desinteresse an den Menschen und dem Geschehen um sie herum, das ihr eine Aura der Unantastbarkeit verlieh, die manche mit Stärke
verwechselten. Sie grüßte niemanden, auch nicht Utz, ihren eigenen Sohn. Nur Sigrun bekam die Winzigkeit eines Nickens ab. Mir fuhr sie fast mit dem Rollstuhl über die Schuhspitzen.
    »Es ist erstaunlich, wie sie das trägt«, flüsterte Sigrun. »Abel war der Letzte von der alten Garde. Jetzt ist niemand mehr da, der die Erinnerung teilt.«
    Hinter dem Rollstuhl der Freifrau stand, bemerkenswert unsichtbar, Walter. Walter war Mädchen für alles in diesem merkwürdigen Haus, in das ich durch Sigrun hineingeraten war. Sein Vater war bei der Reichsbahn gewesen, und deshalb pflegte er zu den seltenen Gelegenheiten, bei denen seine Meinung gefragt war, immer das Gleiche zu sagen: Der Zug fährt auf Gleisen, und die verlässt er nicht.
    Im Übrigen wurde er nicht sehr häufig gefragt.
    Die Freifrau hob den linken Zeigefinger. Das Zeichen genügte, und Walter schob den Rollstuhl sanft an. Der Trauerzug setzte sich in Bewegung. Utz und Sigrun hielten den Kopf gesenkt. Ich tat das Gleiche, bis ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung bemerkte.
    Am Wegrand stand eine alte Frau. Sie musterte den Zug sorgfältig, als ob sie nach jemandem suchen würde. Sie wirkte arm und deplatziert, während die Generation der glücklichen Erben schweigend an ihr vorbeidefilierte. Ein Zaungast. Es war ein prominenter Friedhof, eine der ersten Adressen sozusagen, falls man auf so etwas Wert legte. Das lockte bei größeren Beerdigungen auch Neugierige an. Die Frau zog sich zurück, als wolle sie die Trauernden durch ihre Anwesenheit nicht stören.
    Der Trauerzug hielt langsam auf ein bereits ausgehobenes Grab am Ende einer langen Reihe zu. Dutzende Kränze mit malerisch drapierten Schleifen waren schon hierhergebracht worden. Es sah ganz nach dem Gegenteil einer schnellen, unauffälligen Beerdigung aus. Auch der Pfarrer blätterte jetzt sehr konzentriert in seiner Bibel, obwohl doch alles Wichtige bereits in der Kirche
gesagt worden war. Dachte ich. Dann sah ich die Blaskapelle und ließ alle Hoffnung fahren.
    Die Freifrau bemerkte die Musikanten und entfernte als einzige Reaktion ihr Hörgerät. Sie reichte es Walter, der es ohne

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