Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
wie wirst du wieder wach?«
Sie lächelte. »Da gibt’s auch was Feines. Das macht sogar richtig gute Laune. Besser als Sekt. Und sogar auf Rezept. Es steht im Bad.«
Ich konnte es kaum glauben. Meine Mutter, ein Junkie.
»Ich bleibe heute Nacht hier«, sagte ich.
Sie schüttelte den Kopf, als ob sie mich nicht richtig verstanden hätte.
»Ich mache dir jetzt erst mal einen frischen Kaffee, dann rede ich mit Hüthchen, und dann bleibe ich hier. Nur heute. Nur diese Nacht.«
Mutter nickte ungläubig.
Ich ging ins Wohnzimmer. Im Flur ließ ich meine Handknöchel knacken. Nur so zur Einstimmung.
Hüthchen hatte die Chipstüte geleert und unter den Sessel fallen lassen, wo sie sich in bester Gesellschaft anderer geleerter Packungen befand.
»Frau Huth.«
Sie versuchte, etwas unter dem Stapel Fernsehzeitschriften zu verstecken. Beiläufig setzte ich mich auf die Couch, ihr schräg gegenüber, und hob den Stapel an. Verlobung geplatzt – die schöne Senatorin vor den Trümmern ihres Lebens.
Die Kolumne hatte ich am Morgen bereits auf Utz’ Schreibtisch gesehen. Ich hatte mir wenig Gedanken darüber gemacht, dass sie außer von uns noch von weiteren einhunderttausend Berlinern gelesen wurde. Darunter meine Mutter.
»Nehmen Sie es nicht so schwer.«
Ich legte die Zeitung zu den anderen.
»Ich muss mich bei Ihnen bedanken, Frau Huth. Meine Mutter ist keine sehr stabile Person. Ohne Ihre Aufmerksamkeit …«
»Aber das war doch nicht der Rede wert. Ich schaue immer nach ihr, bevor sie einschläft.«
»Wann haben Sie eigentlich Schluss?«, fragte ich.
Hüthchen starrte auf ihre Hände. »Mal so, mal so«, sagte sie schließlich.
Ich nickte. »Immer im Dienst, nicht?«
Hüthchen lächelte.
Ich griff zu meinem Portemonnaie und holte drei Hundert-Euro-Scheine heraus. Die legte ich vor sie hin.
»Herr Vernau, nein.« Sie sah mich nicht an und schob das Geld zurück. »Das ist nicht nötig. Das habe ich doch gerne getan.«
»Das ist Ihr Lohn bis zum Monatsende. Ich will, dass Sie das nehmen, aufstehen, diese Wohnung verlassen und nie wieder hier auftauchen.«
Hüthchen hob den Kopf. »Jetzt?«
»Jetzt.«
»Ja, aber warum denn?«
Ich stand auf und öffnete die Tür zum Flur. Sehr höflich, sehr freundlich. Hüthchen ächzte, wollte sich erheben und sank mehrmals wieder zurück. Den Aufstehmechanismus des Sessels hatte sie noch gar nicht entdeckt. Endlich hatte sie sich hochgewuchtet und stand nun schwer atmend und leicht nach Gleichgewicht suchend im Zimmer.
»Ich glaube nicht, dass das Ihrer Mutter recht ist.«
»Schon möglich. Aber sie bezahlt Sie nicht. Von daher spielen ihre Befindlichkeiten im Moment nur eine untergeordnete Rolle.«
Ich ging in den Flur und suchte unter dem Altkleiderhaufen etwas heraus, das ihr Mantel sein könnte. Ich hielt ihn ihr entgegen, und sie akzeptierte widerspruchslos.
»Sie sind ein schlechter Sohn.«
Ich half ihr in den Mantel und nickte ihr zu. Irgendjemand musste ja der Schuldige sein. Vermutlich war das die Rolle, die mir irgendein rachsüchtiger, kleingeistiger Gott im Moment zugedacht hatte. Hüthchen deutete auf die Zeitung auf dem Wohnzimmertisch.
»Wissen Sie, warum Ihre Mutter das getan hat?« Ihre kleinen Knopfaugen funkelten mich an.
»Aus Scham über meine geplatzte Verlobung? Machen Sie sich nicht lächerlich, Frau Huth. Da geht’s hinaus.«
Ich geleitete sie zur Wohnungstür. Sie drehte sich noch einmal nach mir um. »Sie haben sie nicht eingeladen.« Damit drückte sie mir ihren Schlüsselbund in die Hand.
Ich sah ihr hinterher. Auf dem Absatz warf sie mir noch einen
waidwunden Blick zu, dann hörte ich nur noch ihre vorsichtig gesetzten Schritte, die Stufe um Stufe abwärts nahmen.
Blödsinn. Natürlich hatte ich sie eingeladen.
Hatte ich nicht.
Das schlechte Gewissen sprang mich an und bohrte seine glasspitzen Krallen direkt in mein Herz. Ich lehnte mich einen Moment an die Wand. So lange, bis die Wut kam. Ich riss die Schlafzimmertür auf und fand sie auf dem Bett, schon fast weggedämmert. Ich riss sie hoch und schüttelte sie. Ich weiß nicht mehr, was ich schrie. Ich brüllte herum, tobte, sagte so etwas, dass ich mir diese Tour nicht bieten ließe, nicht noch einmal, einmal war genug, nicht mehr zum Aushalten, eine geschlossene Anstalt wäre genau das Richtige, einweisen sollte man sie, nicht normal das alles hier … Sie versuchte, die Arme vors Gesicht zu heben. Dieser Reflex war es, der mich wieder zur Besinnung brachte.
»Tu das
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