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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Auf dich kann man sich verlassen. Wenn man dich braucht, bist du da.«
    Sie klopfte mir einmal kräftig auf die Schenkel. Ich wollte nicht wissen, ob sie das jetzt ironisch gemeint hatte. Ich stand auf. Vom Fenster konnte man in den Innenhof sehen. Vier große Mülltonnen, ein Fahrradständer, zwei aufeinandergestellte Waschmaschinen, die von besseren Zeiten träumten. Es war eine Wiederbegegnung mit meinen schlaflosen Nächten, wenn nebenan im elterlichen Schlafzimmer ein Krieg tobte, bei dem es immer nur Verlierer gab, und ich mir überlegt hatte, ob Pia aus der Parallelklasse um mich weinen würde, wenn ich jetzt hinunterspränge. Ich war nie gesprungen, weil ich Angst vor den Schmerzen beim Aufprall hatte. Aber ich hatte es mir oft überlegt. Einfach springen. Kim Wilde sang vom Paradies.
    Irgendwo hatte ich kürzlich gelesen, dass sie einen Preis für einen Garten bekommen hatte. Kim, nicht Pia. Sie züchtete jetzt Rosen und arrangierte Wildgemüse. Aber ich verzieh ihr. Kim hatte mich gerettet. Das sollte ich ihr vielleicht einmal schreiben.
    Meine Mutter knipste die kleine Nachttischlampe an. Die Geister verschwanden. Wir gingen wieder ins Wohnzimmer.
    Als ich den gröbsten Dreck eingesammelt hatte, holte ich den Staubsauger. Es interessierte mich nicht, dass es mittlerweile drei Uhr morgens war. Und als das Frettchen von gegenüber Sturm klingelte und mir erklärte, dass sein Schlafzimmer direkt an Mutters Wohnzimmer grenzte und deshalb an Schlaf nicht zu denken sei, bot ich ihm an, ihm mit einem gezielten Schlag auf den seitlichen Hinterkopf behilflich zu sein.
    Mutter war längst auf der Couch eingeschlafen, als ich mit dem
Wohnzimmer fertig war und mir das Bad vornahm. Ich dachte nicht mehr an Gerichtstermine und Marie-Luise, ich dachte nicht an Milla und auch nicht an Sigrun. Ich wollte nur diese Wohnung in Ordnung bringen. Als um vier die Vögel zu singen anfingen, hatte ich das Badezimmer fertig. Um fünf hob ich meine Mutter hoch und legte sie auf ihr frisch bezogenes Bett, wobei ich mir nicht sicher war, ob die Bettwäsche tatsächlich sauber oder nur ordentlich zusammengelegt in der Schublade gebunkert wurde. Um halb sechs war ich mit dem Flur fertig. Nur das Kinderzimmer, das brachte ich nicht über mich. Ich füllte die Waschmaschine zum dritten Mal und beschloss, in den nächsten Tagen vorbeizuschauen. Dann schlich ich hinaus, nahm Hüthchens Schlüsselbund von der Flurkommode und zog leise die Tür hinter mir zu.
    Auf dem Weg zum Auto kam ich an der Bushaltestelle vorbei. Eine Gestalt lag schlafend auf der Bank. Irgendetwas an ihr kam mir bekannt vor. Ich steckte den Autoschlüssel wieder ein und ging hinüber, beugte mich zu ihr und berührte sanft ihre Schulter.
    »Neee«, murmelte sie.
    »Frau Huth, aufstehen!«
    Sie rieb sich blinzelnd die Augen, erkannte mich und setzte sich mühsam auf.
    »Ich bin ja schon weg«, murmelte sie. Dabei strich sie sich über den Mantel, dann tastete sie nach ihrer Handtasche, die ihr als Kopfkissen gedient hatte.
    »Wie geht es Ihrer Mutter?«
    »Gut«, sagte ich. »Lassen Sie sie noch ein paar Stunden schlafen.«
    Frau Huth sah mich fragend an, ich nickte ihr zu und gab ihr die Schlüssel. Sie lächelte. Ich ging zu meinem Auto. Als ich wendete und auf die Kaiserin-Augusta-Allee fuhr, sah ich im Rückspiegel, wie sie die Haustür aufschloss und behände, schneller,
als es jede Arthrose im Endstadium erlauben würde, hinter ihr verschwand.

19
    Um sieben Uhr morgens erreichte mein Bewusstsein diesen Schwebezustand, der sich nach einer schlaflosen, mit harter Arbeit verbrachten Nacht einstellt. Es musste Jahre her sein, dass ich um diese Zeit nicht aufgestanden, sondern ins Bett gegangen war. Die Anarchie des kleinen Mannes. Ich setzte noch eins obendrauf und parkte das Auto quer vor der Einfahrt.
    Es war ein strahlender Morgen. Frisch und sauber, noch nicht verdorben von falschen Handlungen und unseligen Erfahrungen. Ich hatte einer Obdachlosen die Tür geöffnet und meiner Mutter die Wohnung aufgeräumt. Es war herrlich, mit wie wenig man sich für einen guten Menschen halten konnte.
    Ich schlich ins Haus, um Sigrun nicht zu wecken, und stellte die Espressomaschine an. Ein Geschenk des Landesvorstandes zum letzten Wahlgewinn. Die Maschine mahlte die Bohnen, pumpte das Wasser durch und schäumte eine goldgelbe Crema auf das Meisterwerk. Ich schüttete zwei Löffel Zucker hinein und rührte um.
    Sigrun stand in der Küchentür. Ich hatte sie durch den Krach

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