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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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nicht gehört. Sie hatte rote Augen, zerzauste Haare und trug ein nicht ganz durchgeknöpftes Neglige.
    »Mir auch einen«, flüsterte sie.
    Ich ließ die Maschine noch einmal arbeiten. Sie nahm die Tasse und schlurfte zum Küchentisch. Dort ließ sie sich in einen Sessel fallen und rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. Sie sah unendlich müde aus. Dann umfasste sie die Tasse, als wollte sie sich an ihr wärmen, und trank in kleinen Schlucken.
    »Bist du eben erst gekommen?«

    Sie fixierte einen Punkt an der Wand hinter mir, um mir nicht in die Augen zu sehen.
    »Ja«, antwortete ich. »Aber es ist nicht so, wie du denkst.«
    »Der Satz der Sätze. Wird nur noch getoppt durch: Aber sie bedeutet mir nichts.«
    Ich setzte mich zu ihr. »Ich war bei meiner Mutter.«
    Sigrun begann, hysterisch zu kichern.
    »Das wird ja immer besser. Und ihr habt die ganze Nacht Händchen gehalten?«
    »Sie hat einen Selbstmordversuch unternommen.«
    »Das stimmt?« Sie stellte die Kaffeetasse ab und sah mich zum ersten Mal an diesem Morgen richtig an. Ich nickte.
    »Das tut mir leid. Warum hast du mich nicht angerufen?«
    Ich versuchte zu erklären, wie diese Nacht verlaufen war. Sigrun hörte zu, mit dunklen, traurigen Augen. Als ich fertig war, stand sie auf. Erst dachte ich, sie wolle wortlos die Küche verlassen, doch dann räusperte sie sich und drehte sich noch einmal zu mir um.
    »Es ist schade, dass du es mir erst jetzt erzählst. Dass ich so vieles nicht weiß.«
    Sie ging ins Bad. Sie hinterließ Leere im Raum, einen Schmerz, der genau ihre Umrisse formte.
    Ich ging ins Schlafzimmer und ließ mich aufs Bett fallen. Wenig später kam sie herein. Angezogen, geschminkt, eine Zigarette im Mundwinkel. Nur die Haare waren noch nass. Sie setzte sich neben mich. Als ich sie in den Arm nehmen wollte, wehrte sie ab.
    »Wir haben Gesprächsbedarf«, stellte sie fest. »Ich rede heute Abend auf einer Neuköllner Bürgerversammlung. Ab neun kann ich weg.«
    Ich nickte.
    Ich hörte sie noch eine Weile im Bad mit dem Föhn hantieren, dann fiel die Tür ins Schloss. Ich griff zum Telefon. In der Kanzlei
lief der Anrufbeantworter, ich meldete mich krank. Dann weckte ich Marie-Luise.
    »Wie geht es deiner Mutter?«, fragte sie als Erstes.
    Ich erzählte in drei Sätzen, was sich ereignet hatte. »Und Milla?«
    »Nichts. Wie zu erwarten, haben mich die Bullen hohnlächelnd abgewimmelt. Osteuropäerinnen unter dreißig werden hier wohl selten als vermisst gemeldet. Weil sie ja doch bei der nächsten Razzia im nächsten Bordell wieder auftauchen.«
    »Und jetzt?«
    »Abwarten. Ekaterina möchte, dass wir nachher zu ihr kommen. Kann sein, dass sie was gefunden hat.«
    Ich wollte gerade auflegen, da sagte sie: »Joachim?«
    »Ja?«
    »Wenn die Freifrau dahintersteckt oder irgendjemand aus dieser Familie, dann …«
    »Was dann?«
    »Nichts.«
    Sie legte auf.
    Ein kalter Lufthauch wehte durch das geöffnete Fenster. Ich fröstelte. Ich stand auf und machte das Fenster zu.
    Die Bettwäsche war noch warm. Ich fragte mich noch, warum die Liebe sich weder ankündigt noch verabschiedet. Als ob sie kommen und gehen könnte, wie es ihr passt.
     
    Ekaterinas Wohnung lag im zweiten Stock, im gleichen Haus wie der Schimmelreiter. Sie öffnete sofort und bat mich herein. Der Flur war eng, Regale mit Büchern und Aktenordnern reichten bis unter die Decke.
    »Die erste Tür rechts«, sagte sie. Ich trat ein. Die Sonne schien durch ein mit Efeu halb zugewachsenes Fenster. Marie-Luise saß am Küchentisch und blickte nur kurz hoch, als sie mich sah. »Alles in Ordnung?«

    »Es geht ihr gut«, erwiderte ich. Als ich am späten Nachmittag erwacht war, hatte ich drei Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Die erste kam von Hüthchen. Mutter war wieder wohlauf. Die zweite war von Sigrun. Sie hatte unsere Verabredung auf zehn verschoben. Der dritte Anruf war der von Ekaterina Mahler gewesen. Ich zog mein Jackett aus und hängte es über die Lehne eines alten Gründerzeitstuhles mit durchgesessenem Lederpolster.
    Ekaterina nahm einen Wasserkessel vom Herd und brühte Tee auf.
    »Das war keine leichte Sache«, sagte sie. »Man muss wissen, wonach man sucht.«
    Vor mir lag eine Kopie der Berliner Illustrierten Nachtausgabe vom 16. November 1944.
    »Erstaunlicherweise hat noch niemand diesen Mist richtig ausgewertet«, erklärte Marie-Luise. »Du kannst in der Zentralen Landesbibliothek in Frankfurt zwar alle vor 1945 erschienenen Zeitungen einsehen. Aber niemand hat

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