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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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nicht noch mal«, flüsterte ich. Sie zog die Bettdecke zu sich hoch und kroch in die andere Ecke, so weit wie möglich fort von mir.
    »Es war doch ein Versehen«, wimmerte sie.
    Schließlich gingen wir in die Küche. Sie setzte sich an den Tisch, ich kochte frischen Kaffee und fing an, das Geschirr abzuspülen. Dann räumte ich auf. Sie blieb sitzen und nippte an ihrem Kaffee. Ich hatte im Radio einen Sender eingestellt, der ähnlich wirkte wie das Baldrian in ihrer Nachttischschublade. Lady in Red, Sexual Healing, Sailing. Als ob es die letzten zwanzig Jahre Musikgeschichte nicht gegeben hätte.
    »Wo ist eigentlich Hüthchen?«, fragte sie, als ich mit der Küche fertig war.
    »Weg«, antwortete ich. »Gefeuert.«
    »Aber … wo ist sie denn hin?«
    »Weiß ich nicht.« Mit jener Befriedigung, die sich nach Abschluss einer ungeliebten Arbeit einstellt, warf ich den Putzschwamm in das Becken.

    »Hat sie etwas gesagt? Wohin sie gegangen ist?«
    »Mutter«, sagte ich. »Es hat dich nicht mehr zu interessieren. Ich habe sie entlassen. Morgen suche ich was Neues.«
    Ich ging ins Wohnzimmer und begann, die Bananen und weitere ungenießbare Hinterlassenschaften in einer Aldi-Tüte zu entsorgen. Mutter kam hinterher. »Ich will aber nichts Neues.«
    Ich schob sie aus dem Weg, um die Ritzen des Sessels von zusammengeknüllten Tüten und Papierservietten zu reinigen. Eine Hand voll davon hielt ich ihr unter die Nase. »Sie bekam über dreihundert Euro im Monat. Schwarz. Auf die Hand. Aber vielleicht ist ja beim Einstellungsgespräch was schiefgelaufen. Ich habe gesagt: Machen Sie den Müll weg! Und sie hat verstanden: Bringen Sie ihn rein!« Ich stopfte das Zeug wütend in die Tüte.
    Doch meine Mutter gab nicht nach. »Das geht nicht, Joachim. Das geht nicht. Du kannst sie nicht einfach hinauswerfen!«
    »O doch.«
    Ratlos nahm meine Mutter auf der Couchecke Platz, die ich gerade leer geräumt hatte. »Wo soll sie denn hin?«
    »Interessiert mich nicht.«
    Was ich gerade unter der Couch entdeckte, erstickte jegliches Mitgefühl. Ich hätte gerne ein Paar Handschuhe getragen.
    »Sie kann doch nirgendwo hin. Sie wohnt doch hier.«
    Ich kroch langsam unter der Couch vor. »Würdest du das bitte wiederholen?«
    »Sie wohnt hier«, flüsterte meine Mutter.
    »Seit wann?«
    Sie hob schon wieder die Arme vors Gesicht. Sie machte mich wahnsinnig. »Also. Seit wann wohnt Frau Huth in dieser Wohnung, für die ich die Miete zahle?«
    »Seit einem Jahr.«
    »Und wo?«
    »In deinem Zimmer.«

    Ich sprang auf, lief über den Flur bis zu der Tür am Ende des Ganges und riss sie auf.
    Mein Kinderzimmer. Der Raum, den ich gut zehn Jahre nicht mehr betreten hatte. An der Wand hing mein Poster von Kim Wilde. Auf dem Kleiderschrank stand meine Carrera-Autobahn. Das Bett war immer noch vor dem Fenster. Doch es war benutzt. Ich öffnete die Schranktüren und fand einen durcheinandergeratenen Stapel alter Kleider, dem ein durchdringender Geruch entströmte. Ich riss das Fenster auf. Mehrere Male musste ich tief durchatmen, damit der Würgereiz verflog. Dann drehte ich mich um und sah die Tapete, die Ikea-Lampe, den hellblau gestrichenen Schreibtisch mit dem wackeligen Stuhl davor. Ich hatte zehn Jahre lang nicht den Wunsch verspürt, mein Zimmer zu betreten. Vermutlich hatte ich geglaubt, es existiere gar nicht mehr. Theoretisch konnte meine Mutter hier wohnen lassen, wen sie wollte.
    Jeden. Nur nicht Frau Huth. Ich ließ mich in einem Haufen ungemachter Bettwäsche nieder.
    Mutter stand in der Tür. Sie griff zum Lichtschalter und knipste die Lampe aus. Dann kam sie im Dunkeln hinüber zum Bett und setzte sich neben mich, so wie sie das früher immer gemacht hatte, vorm Einschlafen.
    »Das ist mein Zimmer! Ich wollte eigentlich heute Nacht hier schlafen.«
    »Ach, Junge. Ein Mal in zehn Jahren.«
    »Und warum ausgerechnet Frau Huth? Warum nicht irgendeinen jungen, knackigen Zivildienstleistenden?«
    »Sie ist krank. Schwerste Arthrose. Die Hüfte und die Gelenke. Vor zwei Jahren wurde sie operiert. Es ist nur noch schlimmer geworden. Wo sollte sie denn hin?«
    »Hat sie denn niemanden?«
    Mutter schwieg. Ich wiederholte meine Frage.
    »Doch«, sagte sie schließlich. »Sie hat einen Sohn.«

    Danke. Der Hieb saß. Die Nacht der Wahrheit, die Stunde der Offenbarungen.
    »Er wohnt weit weg. Hat sie seit Jahren nicht mehr in Berlin besucht. Ich nehme an, er hat sie vergessen.« Dann legte sie ihre Hand auf mein Knie. »Du bist da ja ganz anders.

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