Das Kleine Buch Der Lebenslust
Spaß sucht, weil man die Freude im Herzen verloren hat. Oft genug geht dann der Spaß auf Kosten anderer. Man macht andere lächerlich, um sein Vergnügen zu haben. Doch dann merkt man gar nicht, wie verletzend und damit inhuman die Spaßgesellschaft ist. Sie ist nicht eine Einladung an alle, sich des Lebens zu freuen, sondern ohne Rücksicht auf die anderen seinen eigenen Spaß zu haben, die anderen sogar für den Kitzel des eigenen Lachens zu missbrauchen.
Wenn ich Menschen beobachte, nachdem sie das gehabt haben, was sie Spaß nennen, dann sehe ich oft in traurige und leere Gesichter. Wenn sie sich unbeobachtet fühlen, dann tritt die ganze Traurigkeit in ihnen ans Tageslicht. Sie wollen die dunkle Stimmung ihres Herzens vertreiben. Aber es gelingt ihnen nicht. Der Spaß bleibt an der Oberfläche. Er dringt nicht in den Grund des Herzens ein. Am Grund des Herzens aber liegt die Freude in jedem Menschen bereit: ein Schatz, den wir heben können.
Glücksfresser
„Die Vergnügungssucht ist unersättlich und frisst am liebsten – das Glück.“ Die österreichische Erzählerin Marie von Ebner-Eschenbach bringt es auf den Punkt: Es gibt Vergnügungssucht. Eine Sucht nach Freude gibt es nicht. Vergnügen kann krank machen. Man wird unersättlich. Man bekommt nie genug und muss immer noch mehr haben. Man wird abhängig davon. Sucht ist Krankheit. Im Wort steckt „siech“, d. h. krank sein. Wer von einem Vergnügen zum andern hetzt, der wird unfähig zur Freude. Marie von Ebner-Eschenbach hat den destruktiven Charakter einer solchen Haltung mit der Krankheit der Fress-Sucht in Beziehung gesetzt: Vergnügungssucht frisst das Glück auf. Vergnügen bringt nicht Glück mit sich, sondern vertreibt es. Daher braucht es Genügsamkeit, Beschränkung auf den Augenblick und die Freuden, die der Augenblick mit sich bringt.
Nicht zum Vergnügen
„Der Mensch ist nicht zum Vergnügen geboren, sondern zur Freude,“ sagt Paul Claudel. Schon die Sprache zeigt es: Das deutsche Wort Vergnügen kommt aus der Geschäfts- und Rechtssprache und meint ursprünglich die Bezahlung und die Zufriedenstellung. Der Mensch ist nicht dazu geboren, zufrieden gestellt zu werden, genug zu haben, in seinen Ansprüchen befriedigt zu werden. Der Mensch ist zur Freude geboren. Freude kommt von „froh“ und hat zu tun mit: „hurtig, erregt, bewegt“. Es kommt von hüpfen. Wer sich freut, der hüpft innerlich auf. So hat es Lukas in der Begegnung zwischen Maria und Elisabeth beschrieben: Das Kind in Elisabeth hüpft vor Freude in ihrem Leib auf. Das althochdeutsche Wort für Freude „frewida, frouwida“ ist verwandt mit dem schwedischen „fröjd“, das Lebhaftigkeit, Lebenslust bedeutet. Die Freude steht der Lust näher als das Vergnügen. Das Vergnügen ist nur eine Befriedigung meiner Wünsche, die Freude dagegen macht lebendig. Sie macht mich hüpfen. Sie erfüllt mich mit Lust.
Entzücken der Augen
„Es ist so eine Ironie, solch ein Widerspruch, dass wir ständig nach Höhepunkten des Erlebens suchen, wenn die Höhepunkte doch in all den Dingen um uns vorhanden sind, die unser Auge entzücken.“ Das hat die Dichterin Anais Nin schon vor der Erfindung der so genannten Spaßgesellschaft geschrieben. Die Suche nach außerordentlichen Ereignissen versucht heute eine ganze Vergnügungsindustrie zu befriedigen. Sie hätte nicht so großen Erfolg, wenn die Sehnsucht danach nicht so tief in der menschlichen Seele verankert wäre. Aber was ist ein Höhepunkt?
Der Psychologe Abraham Maslow spricht von „Gipfelerfahrungen“. Solche Erfahrungen aber kann man nicht machen oder künstlich inszenieren. Sie geschehen, wenn wir ganz im Augenblick sind. Dann kann ein Sonnenaufgang eine solche Gipfelerfahrung sein. Oder die Geburt eines Kindes. Oder das Schauen in eine herrliche Bergwelt.
Die Höhepunkte sind schon in den Dingen vorhanden. Wir brauchen nur offene Augen, um sie wahrzunehmen.
Positive Antriebskraft
Die griechische Philosophie hat die Lust durchaus als positive Antriebskraft des Handelns bejaht. Allerdings differenziert Platon, der größte griechische Philosoph, die verschiedenen Formen von Lust je nachdem, worauf sie sich richten. Wenn sich die Lust auf hohe ethische Werte oder auf ein vernünftiges und sittlich hoch stehendes Ziel richtet, dann ist sie dem Menschen angemessen. Rein irdische Lust dagegen ist für ihn eher suspekt. Für Platon stellt die Lust das innere Gleichgewicht des Menschen wieder her. Sie ist also für seine innere
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