Das Kleine Buch Der Lebenslust
der Mensch ersehnt: Ruhe, Segen, Fülle des Lebens.
„Das Leben ist eine Herrlichkeit!“
Ich kenne Menschen, die immer etwas zu jammern haben. Wenn man sie nach dem Wetter fragt, jammern sie, dass es entweder zu heiß oder zu kalt ist, zu trocken oder zu regnerisch. Man hat den Eindruck, dass es ihnen keiner je recht machen kann. Wenn ich sie nach der Arbeit oder nach der Familie frage, geht das Klagen weiter. Nirgends sind sie zufrieden. Solchen Menschen muss man ein Wort von Rainer Maria Rilke bewusst entgegenhalten und sie daran erinnern: „Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit.“ Rilke hat dies in einem späten Brief geschrieben, als er selber schon sehr krank war. Er bezieht sich nicht auf besondere Eigenschaften des Lebens, weder auf den Erfolg, noch auf die Liebe, weder auf Gesundheit noch auf die Kraft der Jugend. Das Leben an sich, mit seinen Höhen und Tiefen, mit seinen Licht- und Schattenseiten, mit seinem Auf und Ab, mit Schmerz und Freude ist eine Herrlichkeit. Es ist immer spannend, das Leben anzuschauen und staunend zurückzutreten, um seinem Geheimnis nachzuspüren.
Entscheide dich dafür
Wenn mir jemand vorjammert, wie schlimm alles ist, hat es keinen Zweck, ihm das Positive vor Augen zu führen. Wie oft habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, was ich einem solchen Menschen sagen, auf welche Dinge ich ihn hinweisen könnte, um ihm zu zeigen, wofür er dankbar sein dürfe. Doch bei allem, was ich vorgebracht habe, hatte er neue Einwände: bei ihm sei das doch alles ganz anders. Ich habe mir dann abgewöhnt, das Positive gegen das Jammern zu setzen. Heute frage ich anders: Warum brauchst du das Jammern eigentlich? Was bringt es dir, dass du alles so negativ siehst? Welche Strategie bezweckst du, alles negativ zu sehen? Oder ich sage einfach: Du siehst das so. Aber man könnte es ja auch anders sehen. Warum meinst du, dass gerade deine Sichtweise stimmt? Es ist deine Sache, das Leben so zu sehen, wie du es willst. Ich akzeptiere das. Aber ich an deiner Stelle würde mich für das Leben entscheiden, anstatt dagegen.
Unverzichtbar
„Auf Begierde soll man verzichten, nicht aber auf Freude.“ Das sagt der Sufi-Meister Hazrat Inayat Khan. Eine klare Weisung. Sie gilt für alle spirituellen Traditionen. Manche werfen der christlichen Askese vor, sie sei lebensfeindlich, leibfeindlich, trübselig und hart. In Wirklichkeit geht es der Askese immer um die Einübung in die innere Freiheit. Die Christen haben die Askese nicht erfunden. Askese ist ein Wort aus der griechischen Welt des Sports. Der Sportler trainiert sich, damit er größere Leistungen erzielen kann. Aus der Welt des Sport kam das Wort in die Philosophie. Die Philosophen übten sich ein in die innere Freiheit. Die Askese war für sie ein Training in die Haltungen, die sie als dem Menschen angemessen erkannt hatten: Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß und Klugheit. Sie war ein Weg, auf dem sie ihr Leben selbst in die Hand nahmen, anstatt von äußeren Einflüssen oder aber von den Begierden im Innern ihres Herzens gelebt zu werden.
Beunruhigend
Gier – so sah es schon die stoische Philosophie – trübt die Freiheit und Würde des Menschen. Der Mensch kann nicht mehr über sich verfügen, wenn er sich von seinen Begierden treiben lässt. Er verliert die Klarheit seines Geistes und die Ruhe seines Herzens. Askese ist daher nicht lebensfeindlich, sondern lebensfreundlich. Sie will uns in die wahre Freude führen.
Ein anderes Wort für Askese ist „Disziplin“. Es kommt vom lateinischen Wort „discapere“ und meint: in die Hand nehmen, selber gestalten. Für Hildegard von Bingen besteht das Wesen der Disziplin in der Kunst, sich immer freuen zu können. Wer voller Gier ein Stück Torte nach dem anderen verschlingt, der kann sich am Genuss nicht freuen. Er wird sich nachher ärgern, dass er zuviel gegessen hat. Wer sich dagegen auf den Genuss eines Stückes beschränkt, der kann sich beim Essen und noch lange danach freuen. Er behält den Geschmack der Freude in seinem Mund und in seinem Herzen.
Nicht nur geistige Freude
Wer sich Lust verbietet, dem stößt das Leben sauer auf. Und er schädigt sich dadurch selber, ohne Lebenslust wird auch unser geistliches Leben kraftlos und saftlos. Lust ist ein wesentlicher Antrieb des Menschen. Diesen Antrieb braucht auch unser geistliches Leben. Zu oft ist Spiritualität mit Leiden gleichgesetzt worden. Aber Spiritualität umfasst auch unsere Sehnsucht nach Glück und unsere positiven
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