Das Kleine Buch Der Wahren Liebe
Liebe die Sexualität ausklammert, dann ist sie in Gefahr, zu vertrocknen. Aber nicht nur der sexuelle Akt vertieft die Liebe und stärkt die Beziehung. Auch die Erotik – gleichsam eine spirituelle Form der Sexualität – gibt der Liebe zwischen Mann und Frau die rechte Spannung. In der Erotik, so sagt man, prickelt es. Da ziehen sich Mann und Frau gegenseitig an. Und diese gegenseitige Anziehung hält die Liebe lebendig. Auch im Alter gibt es Erotik und Sexualität, die die Liebe nähren. Es ist wunderbar, wenn alte Ehepaare miteinander zärtlich sind, wenn sie immer noch die erotische Anziehung des anderen wahrnehmen und wenn sie noch eine erfüllte Sexualität leben. Je älter wir werden und je länger ein Paar zusammenlebt, desto klarer wird, worauf es eigentlich ankommt: den anderen bedingungslos anzunehmen und ihm in alle Bereiche seines Lebens zu folgen, auch in die Krankheit und Ohnmacht hinein.
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Die sexuelle Vereinigung gelingt nur, wenn die Partner sich gegenseitig hingeben, ohne nur auf die eigene Lust oder Gier zu schauen. Dann werden sie wirklich frei von sich selbst und erleben in der Vereinigung höchstes Glück. Aber dieses Glück kann man nicht festhalten. Es braucht immer wieder Augenblicke der Hingabe, um an dieses Glück zu rühren. Die Hingabe, die in der Sexualität gipfelt, will aber ganz konkret im Alltag eingeübt werden. Wenn die Mutter hingebungsvoll für die Kinder sorgt, wenn sie sich voller Hingabe auf die Alltagsarbeit des Haushalts einlässt, wenn der Mann seine Frau voller Hingabe pflegt, wenn sie krank ist, dann geschieht in diesen Augenblicken das Glück des „Sich-Vergessens“. George Bernanos meint einmal, es sei eine große Gnade, sich selber annehmen zu können. Wir wissen alle, wie schwer es uns fällt, uns mit all unseren Grenzen anzunehmen. Aber die Gnade aller Gnade besteht darin, sich selbst vergessen zu können. Denn in dem Augenblick, in dem ich mich vergesse, bin ich ganz präsent. Da kreise ich nicht mehr um meine Bedürfnisse. Da frage ich mich nicht danach, wie ich mich fühle, was mir der Einsatz bringt, was mir die Hingabe bringt. Da gebe ich mich einfach hin, da werde ich frei von mir selbst.
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Nur wenn ich meine Sexualität ganz personal lebe, wenn meine ganze Person sich mit ihrer Liebe darin ausdrückt und den anderen als Person meint, lebe ich sie angemessen. Wer von seiner Sexualität beherrscht wird, lebt sie nicht als Person. Die innere Freiheit und die Freiheit vom Ego gehören zur erfüllten Sexualität. Das sind aber letztlich spirituelle Haltungen: Die sexuelle Hingabe an den anderen ist nur möglich, wenn ich mein Ego loslasse, mich ganz an den anderen und in den anderen hingebe und mich so in die Liebe und letztlich in Gott hinein hingebe.
Wenn Sexualität gelingt, dann erleben sich Mann und Frau als eins miteinander. Dann spüren sie eine Dimension von Einklang, von Sich-Vergessen und Hingabe, die ihre Sehnsucht nach der Fülle des Lebens und nach Glück für einen Augenblick stillt. Doch man kann die Sehnsucht nicht ein für alle Mal stillen. Sie wird durch jede beglückende Erfahrung in der Sexualität wieder neu geweckt. Ich kann diese Sehnsucht nur angemessen leben, wenn ich sie nicht nur auf die Sexualität richte, sondern darüber hinaus auf die Wirklichkeit richte, die allein für immer die Sehnsucht nach Ekstase erfüllen kann.
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Wenn ich in der sexuellen Liebe das Geheimnis des anderen Menschen vergesse, wird sie zu einer Gymnastikübung verkommen. Nur wenn ich in der Hingabe an den anderen um sein Geheimnis weiß, wird wirklich Hingabe gelingen. Um das Geheimnis des anderen zu wissen, ist letztlich Ausdruck einer tiefen Spiritualität. So verlangt die Sexualität schon von sich aus nach Spiritualität, damit sie auf Dauer Freude machen kann und nicht zum langweiligen Produzieren von sexuell erregten „Höhepunkten“ wird. Die spirituelle Dimension der Sexualität besteht darin, dass ich in der Hingabe an den anderen immer darum weiß, dass es letztlich eine Hingabe an das Leben, an die Liebe schlechthin ist. Ich gebe mich diesem konkreten Menschen hin, ich werde eins mit ihm. Aber indem ich mit diesem Menschen eins werde, werde ich mit dem Grund allen Seins, mit dem Grund aller Liebe eins.
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Sexualität zeigt uns, dass wir wesentlich auf andere bezogen sind. Wir können und dürfen nicht mit allen, die uns sympathisch sind, eine sexuelle Beziehung eingehen. Aber die Sexualität fließt in die Beziehungen hinein.
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