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017 - Blick in die Vergangenheit

017 - Blick in die Vergangenheit

Titel: 017 - Blick in die Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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London, 18. November 2011
    Scheinwerferlicht tauchte das Bild in grelle Helligkeit. Richard Jagger trat näher an die Kopie des Wandgemäldes heran. Auf der obersten Stufe waren Figuren zu sehen, in Umhängen, Jaguarfellen und mit exotischen Hüten, Federn, Tierköpfe und unheimliche, fast dämonisch wirkende Masken. Auf den beiden Stufen darunter sah man etwa ein Dutzend halb nackter Menschen, sitzend oder kniend.
    Viel mehr als einen Lendenschurz trugen die meisten nicht. Einer, ganz links, warf zwei Bälle in die Luft. Ein uraltes Bild. Weit über tausend Jahre alt.
    Richard Jagger führte das Diktiergerät zum Mund: »Sehen Sie den Ballspieler ganz links auf der untersten Stufe, Ladies und Gentlemen? Schauen Sie, wie leichthändig er die Bälle wirft. Wirkt er nicht gelöst, fast heiter? Dabei war er eben noch ein Todeskandidat. Ja, Sie hören richtig, Ladies und Gentlemen: ein Todeskandidat…«
    Leise Musik erfüllte den Ausstellungsraum. Alte Musik. Nicht ganz so alt wie das maßstabsgetreu kopierte Wandgemälde aus dem neunten nachchristlichen Jahrhundert mit dem knienden Maya-Ballspieler. »She's a rainbow« von den Rolling Stones. Einer der Musiker war ein entfernter Verwandter Richard Jaggers.
    »…einer von sechs bis acht Spielern, die in zwei Mannschaften gegeneinander antraten. Eine Mannschaft verlor das Spiel - und damit auch das Leben. Der Mann, den Sie hier auf dem Bild sehen, gehörte zu den Siegern. Man sieht es ihm an, oder?«
    Ein Bild aus einer Reihe von Exponaten, die Jagger aus zahlreichen Museen der Welt zusammengetragen hatte.
    Oder noch zusammentragen würde. Sieben- hundertfünfundachtzig ganz genau. Skulpturen, Tücher, Wandteppiche, Keramik, Fotografien, Modelle von Pyramiden und Festungsanlagen, Dokumente der spanischen Eroberer und so weiter.
    Jagger sprach den Text in sein Diktiergerät, den die Besucher der Ausstellung aus den Lautsprechern hören würden, wenn sie vor dem Bild standen.
    Oder über Kopfhörer in ihrer eigenen Sprache, falls sie Ausländer waren. Später. Am elften Februar des kommenden Jahres. An die- sem Samstag sollte die Ausstellung eröffnet werden. Genug Zeit, die noch fehlenden Exponate aus den verschiedenen Metropolen herbei zu schaffen. Genug Zeit, dem Ausstellungskonzept den letzten Schliff zu verpassen. Genug Zeit für Texte, Übersetzungen und Öffentlichkeitsarbeit. Und vor allem für das Buch, an dem Richard Jagger seit dem Sommer arbeitete. Fast drei Monate Zeit noch.
    »Vielleicht wissen Sie, Ladies und Gentlemen, dass der Sport bei den Griechen und Etruskern seine Wurzeln in religiösen Kulthandlungen hatte. Genau so verhält es sich bei den mexi-amerikanischen Hochkulturen…«
    »Spuren im Sand« hieß die Ausstellung. Ein etwas reißerischer Titel, wie Jagger fand. Es ging um untergegangene Zivilisationen. Um die Mayas, Tolteken und Azteken, um genau zu sein. Untergegangene Kulturen waren im Trend. Seit dem Sommer. Seit dieser Komet nicht mehr aus den Schlagzeilen weichen wollte.
    Das Britische Museum hatte Richard Jagger einen Zweijahresvertrag für dieses Projekt gegeben. Der promovierte Historiker und Kunstgeschichtler betrachtete den Job als Sprungbrett. Ein Buch hatte er bereits veröffentlicht. Seine Arbeit über die nordamerikanischen Indianer hatte international Beachtung gefunden. Im Sommer nächsten Jahres wollte er seine Forschungsergebnisse über die Mayas veröffentlichen. Jagger zweifelte nicht daran, dass ihn dieser zweite Wurf an das vorläufige Ziel seiner vorläufigen Träume bringen würde: auf einen Lehrstuhl in Cambridge.
    »…besonders die Mayas pflegten das Ballspiel…« Jagger drückte die Pausentaste. Er drehte sich zu dem Klapptisch hinter sich um, auf dem er seine Unterlagen ausgebreitet hatte. Eine kleine tragbare Stereoanlage stand dort inmitten von Papieren, Kaffeebechern, Stiften und Disc-Hüllen und einem über die Tischecke gehängten Mantel. Jagger wechselte die Mini- Disk. Wilde Rhythmen aus Zeiten vor seiner Geburt ertönten: »Jumping Jack Flash«…
    Er richtete sich auf, löste den Pausenknopf seines Diktiergerätes und konzentrierte sich wieder auf das Bild. »Eine Mannschaft bestand aus drei bis fünf Spielern. Der vier Kilogramm schwere Ball war aus Naturkautschuk. Er durfte weder mit den Händen noch mit den Füßen berührt werden.« Seine Hüften wiegten sich im Rhythmus der Musik. Jagger arbeitete am besten mit Musik.. Schon als Schüler hatte er sich während der Hausaufgaben immer die Kopfhörer

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