Das Knochenhaus
ein. Das Licht der Ley-Lampe war alles, was er noch sehen konnte, und dann schwand auch dieses langsam dahin. Es ließ ihn in einer Dunkelheit zurück, die so eng und durchdringend war, dass sie eher einem Mantel oder einer zweiten Haut ähnelte als der Leere des Nichts. Die Luft verdichtete sich; sie wurde so dick und dicht, dass sie nur noch schluckweise eingeatmet werden konnte. Merkwürdigerweise fühlte Kit keine Angst. Oder wenn es sie gegeben hatte, dann war die Furcht schnell fortgeschrumpft, sodass sie keinen Eindruck hinterlassen hatte. Er schien auch nicht mehr länger zu stürzen, sondern zu fliegen.
Ohne irgendwelche Orientierungspunkte konnte Kit nicht erkennen, wohin er sich bewegte, und auch nicht, wie schnell er war. Gleichwohl blieb der Eindruck bestehen, dass er sich mit extremer Geschwindigkeit über unendliche Distanzen hinweg bewegte. Erneut schrumpfte die Zeit zur Bedeutungslosigkeit: Kit stellte sich vor, dass er tatsächlich fühlen konnte, wie sie sich von ihm ablöste – und zwar Schicht für Schicht.
Wie lange dies andauerte, vermochte er nicht zu sagen. Einen Augenblick? Vielleicht die Zeitspanne, die ein Gedanke brauchte, um ins Bewusstsein zu kommen und es wieder zu verlassen? Möglicherweise so lange wie ein ganzes Leben? Oder mehr? Ein Zeitalter? Gar ein Weltalter? Oder eine Ewigkeit?
Nichts schien angemessen zu sein, um seinen derzeitigen Zustand zu erklären. Vergangenheit und Zukunft schmolzen zusammen, vermengten und vermischten sich, wurden zu einer Einheit, bis es nur noch den unveränderlichen gegenwärtigen Moment gab. Soweit er es zu erkennen vermochte, würde er so für immer existieren können: ein Leben in einer zeitlosen Leere – ein Jetzt, das niemals endete.
Kit bemerkte, dass diese Leere zwar ohne Zeit sein mochte, nichtsdestoweniger aber voller Möglichkeiten war. Alles konnte geschehen, mochte vielleicht geschehen, war möglicherweise bereits geschehen: Alles, was er denken konnte, mochte vielleicht plötzlich Gestalt annehmen – allein durch seinen Gedanken könnte alles existent werden. Diese Einsicht – falls es sich wirklich um eine solche handelte – führte ihn zu der ernüchternden Erkenntnis, dass eine bloße Laune eine ganze Welt ins Dasein bringen könnte – eine Welt voller lebender Geschöpfe, deren Existenz plötzlich zum Leben gebracht worden war durch einen einzigen fahrlässigen Gedanken. Kit schreckte vor der entsetzlichen Verantwortung zurück und richtete stattdessen das Augenmerk wieder auf seine Reise.
Das Gefühl des Reisens blieb stark. Kit wusste, dass er heroische Entfernungen zurücklegte; und obwohl es wahrscheinlich zu sein schien, dies könnte endlos so weitergehen, setzte sich in ihm das Gefühl fest, dass ihn ein Ziel erwartete. Und erneut: Der Gedanke hatte sich in dem Moment geformt, als Kit gespürt hatte, dass er ankam. Von einem Herzschlag zum nächsten begann die alles durchdringende Finsternis dünner und immer durchlässiger zu werden. Punkte erschienen vor seinen Augen – winzige Nadelstiche aus Licht. Plötzlich waren sie überall: Sie schimmerten, glitzerten, flimmerten ins Dasein und vergingen sogleich wieder wie die Funken eines explodierenden Feuerwerks. Wellenförmig bewegten sie sich durch die Leere; sie waren überall um ihn herum, und einige gingen sogar durch ihn hindurch. Schneller und immer schneller kamen sie heran.
Kit bemerkte ein Geräusch: das Anstürmen und Zurückschwemmen von Wellen – die Brandung eines Ozeans, die auf die Küste prallte. Plötzlich war er dort. Er traf so schnell dort ein, dass ihm keine Zeit blieb, sich darauf einzustellen. Den einen Moment schwebte er noch durch den Raum, und während des nächsten krabbelte er auf Händen und Knien über eine Sandfläche. Hinter ihm gab es Wasser und vor ihm erhob sich eine grüne Böschung. Er begriff jetzt sogar, dass seine Kleidung nass war – war er etwa aus dem Meer aufgetaucht? Wenn es so war, konnte er sich nicht daran erinnern. Das Gefühl einer raschen Abwärtsbewegung war immer noch sehr stark und verdrängte alles andere. Er schloss seine Augen und vollführte tiefe, beruhigende Atemzüge, bis das verwirrende Gefühl des Fallens aufhörte.
Er öffnete die Augen, hob den Kopf und blickte sich um. Ihm bot sich die Aussicht auf feinen weißen Sand, der sich, so weit das Auge reichte, nach links und rechts erstreckte: ein perfekter Strand, der vom kühlen Wasser eines türkisfarbenen Ozeans angeschwemmt worden war. Die Sonne
Weitere Kostenlose Bücher