Das Koenigreich des Sommers
daß draußen Nacht sein mußte. Ob es aber die Nacht des gleichen Tages war, an dem ich auf
den Kopf geschlagen wurde, das wußte ich nicht.
Medraut betrat den Raum zuerst. Er hielt eine Lampe, die zur Abdämpfung der Flamme eine Platte aus Horn hatte. Er warf mir kaum einen Blick zu, hob die Laterne hoch und trat an der Tür beiseite.
Morgas drang in den Raum ein wie eine Flutwelle. Sie trug einen langen, dunklen Reisemantel über ihrem roten Gewand, und für meine stillen, müden Augen sah es so aus, als ob sie die ganze Nacht im Schlepp hinter sich herzog. An der Tür stand sie sehr still und schaute auf mich hinab. Sie lächelte ein wenig, aber ihr Blick ließ mir das Herzblut gefrieren. Ich nahm mich zusammen und starrte zurück.
»Zünde das Feuer an«, befahl sie, ohne den Blick von mir abzuwenden.
Ich sah, wie Eivlin sich hinter ihr hervordrückte, zum Feuer schlüpfte und mit dem Zunder herumfummelte. Es machte mich krank, sie anzuschauen, und ich sah genau hin. Sie war sehr bleich und vermied es sorgfältig, die Augen auf mich zu richten.
Der Zunder brannte an, und ein bißchen mehr Licht flammte auf. Eivlins Haar leuchtete wie reife Weizenfelder im Wind. Die Schatten sprangen hoch, dann wurden sie im Lampenlicht ruhig, während das Feuer sich ins Holz fraß. Morgas öffnete die silberne Spange an ihrem Reisemantel und ließ ihn von den Schultern gleiten. Medraut fing ihn auf und reichte ihn dem Wachposten, mit einem kurzen Befehl auf irisch. Der Posten verbeugte sich leicht und ging. Die Königin schaute weder ihn noch Medraut an, sondern machte nur mit der rechten Hand eine kleine Geste. Medraut warf einen Blick um sich, hängte die Laterne an einen Dachbalken, nahm dann den dreibeinigen Hocker, den der Posten benutzt hatte, und rückte ihn näher ans Feuer. Er trat zu mir herüber, packte mich am linken Arm und zerrte mich hoch. Alles verschwamm mir vor Augen, und ich spürte eine Welle der Übelkeit, aber ich stolperte an die Stelle, zu der Medraut mich zerrte, ließ mich auf den Hocker sinken und schaute die Königin an.
Sie kreuzte die Arme über der Brust. Ihre Arme waren nackt; das reiche, dunkelrote Gewand war davon abgeglitten. Sie sahen sehr weiß und stark aus. Ich hätte ihr fast lieber in die Augen schauen können, als ihre Arme zu sehen, aber ich versuchte, starr vor mich hinzublicken und ihr keine Aufmerksamkeit zu schenken. Eivlin, das bemerkte ich aus den Augenwinkeln, hatte sich wieder an die Wand
gedrückt und dort hingehockt. Sie sah blaß und elend aus.
»So«, sagte Morgas endlich, und ihre Stimme war sehr sanft und kalt, »du glaubst also nicht, daß mein Sohn Gawain wahnsinnig ist.«
Ich hatte nicht erwartet, diese Geschichte noch einmal zu hören. Ich preßte den Mund fester zusammen und starrte ins Leere.
»Nun, vielleicht hast du recht.« Das Gewand der Königin rauschte, als sie sich bewegte. »Vielleicht hast du wirklich recht. Aber morgen ist das vielleicht anders.«
Ich mochte die Worte nicht, die sie sagte. Hatte sie vor, Gawain wahnsinnig zu machen? Konnte sie das überhaupt? Er hatte gesagt, sie hätte versucht, ihn durch Zauberei zu töten. Der Versuch war fehlgeschlagen, das war deutlich zu sehen. Vielleicht würde es ihr einfach wieder mißlingen.
Aber vielleicht auch nicht.
»Schau mich an, Sklave«, sagte Morgas. Ich schaute. Ihre Augen waren noch kälter und schwärzer, als ich sie in Erinnerung hatte, und ich hatte das Gefühl, als ob ich mitten im Winter schwimmen müßte. Aber ich begegnete ihrem Blick. Ich wollte einfach keine Angst haben. Und besonders wollte ich meine Verräterin Eivlin nicht sehen lassen, wieviel Angst ich hatte.
»Du wirst bei der Behandlung helfen, die Medraut meinem Sohn gegen seinen Wahnsinn verabreichen wird«, stellte Morgas fest.
Ich biß die Zähne zusammen. »Hohe Frau, das werde ich nicht.«
»Ob du nun willst oder nicht, durch deine Hilfe wird es getan werden, und zwar morgen. Lebendig oder tot, du wirst helfen.«
Ich konnte mein Herz sehr laut hämmern hören, und mir war wieder schlecht. Aber diesmal kam es nicht von dem Schlag auf den Kopf. Ich schluckte mehrmals. Ich hatte einmal eine Geschichte von einem Mann gehört, der Hexen in die Hände fiel, der es aber schaffte, ihnen zu entschlüpfen. Später träumte er, daß sie kamen, ihm die Kehle durchschnitten und sein Herz herausrissen. Sie tranken sein Blut und verstopften die Wunde mit einem Schwamm. Er träumte auch, daß sie ihm befahlen, fürchterliche
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