Das Kreuz der Kinder
wiederum
verpflichtet fühlten, gehörte sie doch zu ihrem Besitz.
Also stellten sie sich vehement gegen jene Truppen, die
jetzt aus Okzitanien zurückströmten, meist Söldnerhaufen
aus Deutschland, die von der Kirche aufgestachelt oder
bestochen waren, gegen ›die Ketzer‹ vorzugehen, wo
immer sie solche antreffen sollten. Alle Beute würde ihnen
gehören. So kämpfte jetzt jeder gegen jeden, die Burg
Hautpoul stand in Flammen, und Melusine war auf sich
allein gestellt.
»Und das alles hat sie dir, dem Fremden, dem erklärten
Feind, auf die Nase gebunden?« hielt der Emir sofort
dagegen. »Oder habt ihr Melusine etwa gefoltert?«
»Gott bewahre!«
Rik reagierte entsetzt. »Wie könnt Ihr so etwas – nein,
zugegebenermaßen schwieg die Schöne mit
zusammengebissenen Zähnen. Alles, was ich heute über
ihre damalige Verfassung weiß, habe ich von Timdal,
ihrem späteren Leibmohren.«
»Dann sollten wir den auch –.«, sinnierte der Emir,
»aber laßt mich nun endlich wissen, was tatsächlich
geschah!«
»Ich kann meine Gefühle, die ich nun mal hatte, nicht
von den Ereignissen trennen –.«, hielt ihm Rik entgegen.
»Genausowenig wie die Gedanken, die mir damals kamen
– oder auch erst später –.«
»Tu dir keinen Zwang an, Rik!« forderte der Emir ihn
voller Ungeduld auf. »Aber dann drück dich auch so aus,
als würde alles sich erst in diesem Moment ereignen, als
sähe ich es mit eigenen Augen.«
aus der Niederschrift von Mahdia
Der brennende Turm
Bericht des Rik van de Bovenkamp
Melusine de Cailhac hatte sich geweigert, mit
auszuziehen, als alle wehrhaften Männer von Hautpoul
völlig kopflos losgeritten waren, um ›feindlichen‹ Truppen
im Walde von Farlot einen Hinterhalt zu legen, damit sie
das bedrängte Bordàs nicht erreichen sollten. ›Der Feind‹
– wer immer das war, wahrscheinlich wir deutschen
Söldner, die im Süden für Frankreich gekämpft hatten und
jetzt auf dem Rückzug französische Städte brandschatzten
und plünderten, weil in Okzitanien keine Beute mehr zu
machen oder der Sold ihnen nicht ausgezahlt worden war.
Und die ecclesia catholica hetzte uns auch noch zu
solchen Untaten auf. So hatten die d’Hautpoul ihre Burg
völlig ohne Schutz gelassen, das Gesinde war beim ersten
Überfall geflohen, Melusine hatte sich vor den Plünderern
verstecken können, aber nun ist sie gewillt, Gegenwehr zu
leisten. Sie verschanzt sich im brennenden Donjon, bereit,
ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen, es sind ja
auch nur zwei, die diesmal im Burghof auftauchen.
Wir, Rik und Oliver, stürmen trotz ihrer Gegenwehr über
eine Leiter den hochgelegenen Zugang zum Turm und
überwältigen die um sich schlagende Wildkatze. Der letzte
Hieb, den sie Rik versetzt, ist ein »Coup de foudre«. Wie
ein Blitzschlag durchfährt nie gekannte höllische Hitze
den in der Liebe unerfahrenen Deutschen; ein glühender
Pfeil, abgeschossen aus grüngrauen Augen, die vor Wut
sprühen, ob dieser gewaltsamen Umarmung. Rik ist ins
Herz getroffen. Doch Melusine zeigt weder Anerkennung
noch Sympathie für ihren Retter, dabei mußte ihr doch
klar sein, daß nur der mutige Einsatz der beiden Deutschen
sie vor einem elenden Tod bewahrt hat, denn Qualm und
Feuer zwingen sie jetzt alle drei, den Donjon schleunigst
zu verlassen. Rik hat es sich von Oliver nicht nehmen
lassen, den ranken Mädchenkörper über die Schulter zu
werfen und ohne Hilfe des Freundes Sprosse für Sprosse
die Leiter hinabzusteigen, ihre nackten Beine unbeholfen
mit einer Hand umklammernd.
Das ist auch wohl der Grund für Melusine, kaum, daß
Rik festen Boden unter den Füßen spürt, mit ihren Fäusten
auf seinen Rücken einzuhämmern und ihn an den Haaren
zu zerren. Ehe sie ihm auch noch das Gesicht zerkratzt
oder in den Hals zu beißen vermag, reißt der nachfolgende
Oliver ihm die Wildkatze von der Schulter und dreht der
Widerborstigen den Arm so gekonnt auf den Rücken, daß
sie nicht einmal nach ihm treten kann, bis sie die Pferde
im Schloßhof erreicht haben. Rik führt die Tiere hinaus,
Oliver die Gefangene.
Unterhalb des Schlosses stoßen sie auf Stephan, den
Hirtenknaben, der seine Herde im Stich gelassen hat, um
dem höheren Auftrag zu folgen, der ihm erteilt wurde. Er
macht auf die beiden Deutschen einen völlig
versponnenen Eindruck, preist er doch überschwenglich
Jesus Christus, der ihm erschienen sei und befohlen habe,
Jerusalem zu retten. Statt seine Schafe zu
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