Das Kreuz der Kinder
hüten, sei er
vom Heiland beauftragt, die Kinder ins Heilige Land zu
führen, damit sie sein teures Grab von den Heiden
befreien, denn das hätten alle Ritter bisher sträflich
versäumt. Melusine verlacht ihn bitter. »Dein Herr Jesus
soll sich lieber um die Erlösung des Landes von der Plage
der Söldnerpacks kümmern!« entgegnet sie zornig, wobei
sie sich von dem Griff Olivers losreißt, der die
Widerspenstige gerade emporgehoben und unsanft vor Rik
abgesetzt hat, der schon im Sattel sitzt. Für einen
Augenblick hat es den Anschein, als wolle das Fräulein de
Cailhac in das vor Aufregung gerötete Antlitz ihres Retters
spucken, der ob der plötzlichen Nähe ebenso verstört war
wie sie wütend. Sie schleudert ihm aber nur ihre
dunkelblonde Mähne ins Gesicht und würdigt ihn keines
weiteren Blickes. Den Zusatz: »Elende deutsche
Handlanger – der Krone wie der Kirche!« zischt Melusine
bereits von Rik abgewandt in die Mähne des Pferdes, das
Oliver am Halfter nimmt, damit sein Freund sich um die
Gefangene kümmern kann. Den entrückten Stephan hat
dieser Vorwurf ohnehin nicht erreicht. Obgleich viel
jünger als sie, behandelt der Hirtenknabe die beiden Ritter
und das Fräulein, als seien sie sein erstes Gefolge auf dem
Weg ins Heilige Land. So ziehen die vier los, Oliver
kopfschüttelnd über das wirre Gerede des Hirtenknaben,
während Rik nur Augen für die vor ihm im Sattel sitzende
Melusine hat, die ihn keines Blickes würdigt – jedenfalls
nicht, wenn er zu ihr hinschaut. Er würde nach Reims
ziehen, wagt Rik schüchtern ein Gespräch zu beginnen,
denn er wolle Dombaumeister werden, der Krieg sei ihm
von Herzen zuwider – Melusine schweigt verbissen.
Seinen Freund Oliver hingegen verlange es, medicinam zu
studieren, Menschen zu heilen, anstatt zu verletzen –
Melusine wirft Rik einen Blick zu, daß er sich hilflos und
nackt wie ein Neugeborenes vorkommt, doch schon hat
die Stolze sich wieder im Griff.
»Ich will nicht wissen, welche kindischen Träume dich
und deinen Freund Oliver damals bewegten«, schnaubte
der Emir im Hintergrund. »Ein als Ritter Geborener sollte
allemal die Ehre seines Standes hochhalten und nicht mit
den Künsten von Handwerkern und Studierten liebäugeln!« gab er als Seitenhieb seine Meinung dazu kund.
»Erzähl mir lieber, wie Melusine auf dich wirkte, nachdem sie schon ungestraft deinen Blicken ausgesetzt war, ja
sogar deine Hände spüren mußte – ohne jede Scham?«
Rik nahm den Einwand erstaunt, eher belustigt zur
Kenntnis. Immer wieder vergaß er, mit welchen Schleiern
ein Moslem seine Frau zu verhüllen trachtete, nicht nur ihr
Gesicht, ihre Gestalt, nein, auch ihr Wesen sollte hinter
einem dichten, schweren Vorhang verborgen bleiben! Und
das ärgerte Rik immer wieder. »Warum sollte sie Scham
empfunden haben?!« entgegnete er, bemüht rücksichtsvoll,
»– es sei denn, die ihrer Freiheit beraubt worden zu sein!«
Diesen ungewohnten Gedanken mußte der Emir erst
einmal wegstecken. Hatte er die junge Frau damals danach
gefragt, als ihm die Beute in die Hände fiel? Unberührt!
Das mußte ihm weder Rik noch sonst einer beschwören,
und doch konnte er es nicht lassen, schon wieder in der
alten Wunde zu bohren.
»Fühltest du denn als Mann nichts, wie sie da –
zwischen Deinen Schenkeln –?«
»Oh, doch!« prustete Rik los, seiner Heiterkeit
ungezügelt ihren Lauf lassend. »Ich weiß nicht, wie Ihr zu
Pferde sitzt, Kazar Al-Mansur«, lachte Rik ihn aus, »aber
zwischen meinen Schenkeln fühlte ich den Gaul, den ich
ritt, und was Melusine anbelangt, war ich froh, daß sie
mich nicht zwang, sie hart anzufassen. Sie hatte sich wohl
ihrem Schicksal ergeben –.«
»Was hattet Ihr vor mit ihr?«
Rik verzog nur leicht seine Miene. »Wir kamen gar nicht
dazu, darüber nachzudenken –.«, winkte er ab. »Laßt mich
doch einfach berichten, was geschah – nicht, was hätte
geschehen können!«
Der Emir sah ein, daß er so und zumindest jetzt nicht
zum Ziel kam und nickte enttäuscht seine Einwilligung.
aus der Niederschrift von Mahdia
Der brennende Turm
Bericht des Rik van de Bovenkamp
Stephan, der vorweg läuft, zeigt plötzlich wild
gestikulierend auf eine Anhöhe und behauptet, dort stünde
Sankt Georg zu Pferd mit Lanze, der habe ihm den Weg
gewiesen. Seine drei Gefährten sehen nichts, aber Stephan
besteht auf seiner Vision. Oliver, mißtrauisch, es könnte
sich um einen feindlichen Späher handeln, steigt
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