Das Kreuz der Kinder
von
seinem Pferd und, gefolgt vom ebenfalls abgestiegenen
Rik, klettert er den Hügel hinauf, um nachzuschauen.
Darauf hat Melusine nur gewartet. Blitzschnell wirft sie
ihre schlanken Beine aus dem Damensitz rittlings in den
Sattel, zwingt Stephan auf den Gaul von Oliver, den sie
am Zügel mit sich zerrt, und prescht mit ihm davon. Rik
und Oliver bleiben ohne Pferde allein im Walde zurück.
Der Emir und Rik kehrten reichbeladen heim vom Souk
al-Barbari, dem Berber-Markt, der allmonatlich auf dem
Platz vor dem Bab Zawila, dem großen und einzigen Tor
von Mahdia stattfand.
Rik war sich im unklaren, ob der Emir bereits den letzten
Teil des Berichts gelesen hatte, der ihn immerhin mit Stolz
und Genugtuung hätte erfüllen müssen, denn er beschrieb
nun ›seine‹ Melusine, wie sie leibte und lebte, jedenfalls
so hautnah, wie er, Rik, sie erlebt hatte. Also beließ er es
dabei und wartete, ob Kazar Al-Mansur die Sprache
darauf bringen würde, doch der machte nicht die
geringsten Anstalten, sich lobend dazu zu äußern. Rik war
im Grunde seines Herzens enttäuscht, auch wenn er sich
das Schweigen des Emirs damit erklären konnte, daß er
sich die Niederschrift tatsächlich noch nicht vorgenommen
hatte. Doch auch das war eigentlich unwahrscheinlich, so
erpicht wie Kazar sich auf die detaillierte Darstellung
gerade dieser Szene gezeigt hatte. Der Deutsche zuckte
mit den Schultern und gab sich unbeteiligt, indem er auch
nur den Anschein eines fragenden Blickes unterdrückte.
»Ein Fest der Sinne und Labsal für ein jedes Gemüt!«
faßte Kazar Al-Mansur hingegen die Eindrücke vom
Markt zusammen, die er als Schirmherr dieses Volksfestes
gewonnen hatte. »Eine einzige Augenweide!«
Sein Begleiter vermochte soviel Begeisterung nicht
aufzubringen. »Eine harte Bewährungsprobe für
empfindliche Nasen«, dämpfte er die Begeisterung des
Fürsten, »und für unseren Geldbeutel!«
Kazar schien die Kritik zu treffen, so daß sich Rik
veranlaßt sah, schnellstens seine Haltung gegenüber dem
Gastgeber richtigzustellen. »Es sind diese Wolken von
Düften, die sich wie ein wohltuendes Sommergewitter in
meiner Nase entladen, durchzuckt von Geruchsblitzen von
Filfil Ahmar, dem scharfen roten Pfeffer, Ziut Athira,
ätherischen Ölen und der Essenz von Nelkenpaste –
Explosionen, die aus Gewürzsäcken voll von gelbem
Sa’afran und gemahlenem Kamoun emporfahren, aus
Bergen von Hal, dem Kardamon aus Samarkand und
gebündelten Kirfa, den kostbaren Zimtstangen. Wie sanfte
Regenschauer senkten sich aus diesen wabernden Wolken
die süßschwülen Düfte von Yasmin und die herbe Frische
von Nana, der wilden Minze, die erst mit heißem Tee
aufgegossen ihr Aroma so recht entfaltet, von der bitteren
Limoun bis zum lieblichem Ma’ Warid, dem köstlichen
Rosenwasser.«
Der Emir grinste seinem Begleiter zu. »Nicht schlecht
für einen Mann des Abendlandes, dessen nüchterner Geist
ihn immer noch beherrscht wie ein gestrenger Djinn.«
Rik fühlte sich nicht ernstgenommen und vor allem
mißverstanden. »Mit der Ratio ist es bei uns nicht weit
her, dafür sorgt schon die ecclesia catholica mit ihrem
Wunderglauben und ihren Weihrauchdämpfen«, knurrte
er, »und unsere Märkte stinken!«
Das wollte der Emir nicht wissen, und so überging er
dieses wenig schmeichelhafte Eingeständnis seines
christlichen Freundes. Kazar hatte keine Schwäche für die
Menschen aus dem Norden und ihre Lebensweise, aber er
begegnete ihnen mit neugieriger Offenheit.
Rik benutzte das Schweigen, die Bilder des Marktes, der
auch ihm jedesmal eine willkommene Abwechslung bot,
noch einmal vorbeiziehen zu lassen. Es waren nicht so
sehr die feuerspeienden Bale’ai annar, die
Schwertschlucker und Kettensprenger, auch nicht die
Haiat atha’abin, deren beschwörende Flötentöne Kobras
aus den runden Körben lockten, damit sie ihre Häupter im
Tanz wiegten, genauso wie die akrobatischen Bahalin, die
jede Schlange mit ihren kunstfertigen Bewegungen bei
weitem übertrafen, noch die Chiromanten und die Magier,
die ihm merkwürdig und fast erheiternd in Erinnerung
geblieben waren, sondern das Bemühen seines Freundes
›unerkannt‹ den Markt zu besuchen. Des Emirs
ausgesuchte Verkleidung, das Verhüllen seines allen
bekannten Gesichts wäre ihm ja noch gelungen, wenn da
nicht die Leibwächter gewesen wären, die ihren Herrn auf
Schritt und Tritt wie eine wandelnde Mauer umgaben und
alles taten, um ihre eigene
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